Die neue Studie „Mobilität der Zukunft“ der Unternehmensberatung BearingPoint prognostiziert bis zum Jahr 2030 eine zunehmende Personalisierung der Mobilität. Im neuen Mobilitäts-Ökosystem verschieben sich damit für alle Beteiligten die Prioritäten. Laut Studie wird es unter allen Akteuren ein Wettrennen um Kundendaten und Wertschöpfungsketten geben. Zudem werden Servicedienstleistungen gefragt sein, die sowohl nationale als auch städtische und ländliche Bedarfsmuster berücksichtigen.
„Der Wandel zu einer personalisierten Mobilität wird die komplette Industrie und damit den gesamten Standort Deutschland betreffen. Unternehmen müssen auf diesen Trend reagieren, wenn sie im Wettbewerb weiterhin die Nase vorn haben wollen“, so Stefan Penthin von BearingPoint. „Kunden erwarten inzwischen auch im Mobilitätsumfeld individuell auf sie zugeschnittene Lösungen – wie sie es von Anbietern wie Netflix, Amazon oder Google gewohnt sind – sowohl im eigenen Auto als auch bei öffentlichen Verkehrsdienstleistungen. Dazu müssen Mobilitätsdienstleister ihre Kunden aber auch genauso gut kennen wie die großen Tech-Konzerne.“
Der Schlüssel liege in der Auswertung und Nutzung individueller Kundendaten, sagen die Berater. Zudem müssten die Dienstleister Bestandteil eines Partner-Netzwerks sein, um ihre Angebote mit anderen Angeboten koppeln zu können.
Bis 2030, so die Studie, werden in Großstädten etwa 23 Prozent aller Fahrten durch Shared- und On-Demand-Angebote erfolgen, was fast einer Verdreifachung im Vergleich zum Jahr 2021 entspreche. Zukünftig würden alle Akteure Teil der neuen, anspruchsvollen Infrastruktur sein und im Verbund mit Partner-Netzwerken zusammenarbeiten, die den Kunden multimodale Fahrten mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln anbieten.
Autohersteller unter Zugzwang
Laut der Studie haben Verbraucher im Jahr 2030 eine Vielzahl neuer Möglichkeiten, ihr Mobilitätserlebnis zu personalisieren und können dann bequem wählen, wann und wie sie sich fortbewegen wollen – wobei sie aus Optionen wie Mobilitätsdiensten auf Abruf, neuen Formen der Mikromobilität und Premium- oder Massenverkehrsmitteln wählen können.
Dies bedeute, dass die Automobilindustrie schnell auf die sich verändernden Geschäftsmodelle und die neue Wettbewerbsdynamik der individuellen Mobilität reagieren muss. Statt anonyme Massenprodukte für breite Kundensegmente herzustellen, sollte sie eine Kombination von Produkten und Dienstleistungen anbieten, die auf die Kunden persönlich zugeschnitten sind. Und sie müsse über die opportunistische Datenerfassung hinausgehen und zu einer strategischen Datenorchestrierung übergehen, um Erkenntnisse aus Kundendaten entlang der gesamten „Customer Journey“ auch in werthaltige Kundenangebote überführen zu können.
Automobilhersteller dürfen dabei laut Studie ihre strategische Position als erste Anlaufstelle für ihre Kunden nicht verlieren. Doch stünden deutsche Automobilhersteller schon heute unter hohem Druck, den Kundenkontakt zu halten. Oft fehlten in diesem Bereich das Know-how, aber auch Zeit und Geld. Große Tech-Unternehmen wie Alphabet, Apple oder Amazon seien hier direkte Wettbewerber und forderten die Autobauer immer weiter heraus. Gefragt seien individuelle, auf die Kunden zugeschnittene Lösungen – beispielsweise in den Bereichen Service und Entertainment.
Künftig würden Verbraucher mehr Möglichkeiten zur Personalisierung ihrer Mobilität fordern – unabhängig davon, welche Verkehrsmittel sie nutzen, so die Studienautoren. Zwar werde das „Erlebnis Privatfahrzeug“ auch 2030 noch weiterbestehen, dies aber unter Einbeziehung mehrerer Verkehrsträger und mit der Integration über mehrere Plattformen als öffentliche Dienstleistung zu geringeren oder gar keinen Kosten für die Kerndienstleistung Mobilität.
In dem Maße, wie die Menschen mehr Verfügbarkeit, Qualität und Flexibilität von Mobilitätsdienstleistungen verlangen, wird sich laut Studie auch die öffentliche Verkehrspolitik weiterentwickeln. Die verschiedenen Verkehrsträger müssten dabei sorgfältig integriert werden, wobei Sicherheit und persönliches Wohlbefinden oberste Priorität hätten. Die Mobilitätspolitik sollte zudem darauf ausgerichtet sein, die Produktivität und Effizienz zu verbessern, sowohl in Bezug auf die Arbeitszeit als auch auf die arbeitsfreie Zeit.
Neue Geschäftsmodelle für Versicherungen
In dieser neuen Dimension der Personalisierung benötigten Verbraucher weiterhin eine Versicherung, um sich zu schützen und Risiken zu managen. Die Versicherungsunternehmen müssen sich laut Studie allerdings auf neue Marktgegebenheiten einstellen.
Zum einen würden in Zukunft mehr Versicherungen auf Business-to-Business-Ebene abgeschlossen werden, gerade in Bereichen wie Carsharing. Zum anderen würden neue Versicherungstypen entstehen, da die Business-to-Consumer-Policen stärker personalisiert werden und Versicherungen neue Instrumente und Systeme einsetzen, um auf Risikoprofile zu reagieren, die je nach Nutzung und Region noch stärker voneinander abweichen werden. Außerdem werde es mehr Produkte geben, die spezielle Versicherungen für Elektrofahrzeuge und autonome Fahrzeuge anbieten.
Chancen & Aufgaben für Energiedienstleister
Laut der Studie müssen die Energieunternehmen ihre Geschäftsmodelle verändern, um mehr individualisierte Angebote machen zu können, etwa ermäßigte Preise für das Aufladen von E-Autos am späten Abend und nachts sowie Garantien für Pendler für die Strecken von Tür zu Tür.
Zu den digitalen individualisierten Dienstleistungen könnten Parkplatzfinder und Essensbestellungen beziehungsweise Abholungen an Tankstellen und Ladestationen gehören. Es gebe sowohl ein großes Potenzial für Up- und Crossselling als auch für die Diversifizierung der Geschäftsmodelle, bei denen Ladeinfrastruktur, Co-Working-Spaces, Unterhaltungsangebote, Einkaufsmöglichkeiten, Car-Sharing-Optionen und sogar Fitnessstudios miteinbezogen sind.
Die Studie prognostiziert kleine Lade- und Tankstationen, bei denen Einkaufs- und Gastronomieangebote integriert sind. Ein weiterer Fokus liege auf der Verfügbarkeit von Ladestationen in ländlichen Gebieten sowie auf landesweiten aber kleinskalierten Infrastrukturinvestments. Für die Energieunternehmen würden langfristige Verträge mit großen Immobilienunternehmen essentiell sein. Es werde zudem die Möglichkeit zum Bau (und Betrieb) von Mobility-Hubs (Ladestationen für E-Fahrzeuge, Wasserstofftankstellen, Mini-Märkte und Toiletten) geben, die in direktem Wettbewerb zu den Tankstellen der Öl- und Gas-Industrie stehen.
„Die Mobilität der Zukunft sollte nicht als Selbstzweck gedacht werden, sondern das persönliche Wohlbefinden jedes Einzelnen und der Bevölkerung als Ganzem in den Mittelpunkt stellen. Was sich momentan noch an einigen Stellen futuristisch anhört, bietet große Chancen für alle Beteiligten, vom Autohersteller über den Versicherer bis hin zum Energieversorger. Die Politik sollte in diesem Zusammenspiel die Bühne bereiten für eine gelungene Zeitenwende im Bereich der Mobilität“, resümiert Berater Penthin.
Thomas H. meint
Ich habe bereits ein Ökosystem. Mir ist es viel wichtiger, dass mein Fahrzeug dieses unterstützt. Im Gegenteil, würde ich kein Fahrzeug kaufen, welches mich in ein vom Fahrzeughersteller vorgeschriebenes Ökosystem zwingen möchte. Wenn der Fahrzeughersteller E-Mails, Kartendienst, Kontakte, Kalender, Notizen, Cloud usw. geräteübergreifend (also auch Laptop, Smartphone, SmartTV, …) anbieten kann, kann man weitersehen. Ansonsten einfach die etablierten Dienste nutzen oder zumindest unterstützen, das ist für mich inzwischen ein Kaufkriterium.
(Und never ever niemals nie nicht, zahle ich Lizenzen, damit ich MEINE Sitzheizung aufdrehen darf. Egal, was da sonst geboten wird. Das ist Gier in Endform.)