Ohne ein intelligentes Messsystem („Smart Meter“) ist ein netzdienliches und intelligentes Laden von Elektrofahrzeugen derzeit kaum möglich, da die Verschiebung von Ladevorgängen in Zeiträume mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien und niedrigen Stromgroßhandelspreisen weder gemessen noch bilanziert und abgerechnet werden kann.
Der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW, der Autobauer Audi und das Beratungsunternehmen Intelligent Energy System Services (IE2S) haben einen Ansatz entwickelt, um überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien bereits heute effizient zu nutzen und Besitzern von Elektrofahrzeugen auch ohne Smart Meter oder dynamische Stromtarife eine Erlösmöglichkeit für die Bereitstellung von Flexibilität zur Verfügung zu stellen.
„Mit unserem Ansatz des intelligenten Ladens im Standardlastprofil haben TransnetBW, Audi und IE2S eindrucksvoll gezeigt, dass eine effiziente und wirtschaftliche Integration dezentraler Flexibilität in die Energiemärkte möglich ist. Denn je nach Ausstattung hat ein Haushalt mit flexiblen Verbrauchseinrichtungen das Potenzial, bis zur Hälfte des Haushaltsstromverbrauchs zu flexibilisieren, wobei Elektrofahrzeuge den größten Beitrag leisten“, so Rainer Pflaum von TransnetBW. „Rechnet man die Ergebnisse unseres Pilotprojekts auf das Jahr 2035 hoch, könnten in Deutschland durch intelligentes Laden von Elektrofahrzeugen rund 2 Mrd. Euro eingespart und rund 1 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr vermieden werden.“
Tests mit 800 digitalen & 20 realen Fahrzeugen
Das Flexibilisierungspotenzial durch intelligentes Laden im Standardlastprofil (iSLP) wurde zunächst mit über 800 digitalen Fahrzeugen („digital Twins“) in einer Testumgebung simuliert und anschließend mit rund 20 realen E-Autos der Marke Audi erprobt. Durch das intelligente Laden konnten die Stromkosten für das Laden von Elektrofahrzeugen laut den Projektverantwortlichen um 62 Prozent gesenkt werden. Dies führte zu einer Reduktion der CO2-Emissionen um 36 Prozent.
„Für unsere Kunden soll der Ladevorgang so einfach und bequem wie möglich sein. Dank intelligentem Laden profitieren sie neben CO2-optimiertem Laden von besonders günstigen Preisen. Wir sind überzeugt, dass diese Möglichkeit die Entscheidung für ein Elektroauto beschleunigen kann. Die Simulation mit unseren Partnern TransnetBW und IE2S ist deshalb für uns eine wertvolle Gelegenheit, die technische Machbarkeit zu verifizieren“, erklärt Alexander Kupfer von Audi.
Im Rahmen des Projekts wurden einerseits die ökonomischen und ökologischen Potenziale durch Simulationen mit digitalen E-Autos ermittelt. Andererseits wurde die technische Machbarkeit der entwickelten Lösung durch einen End-to-End-Test mit realen Audi-Fahrzeugen erfolgreich nachgewiesen. Dabei sieht das Konzept vor, dass Abweichungen zwischen tatsächlichem Stromverbrauch und Standardlastprofil durch intelligentes Laden im Differenzbilanzkreis des lokalen Verteilnetzbetreibers bilanziert werden. Dieses alternative Bilanzierungskonzept wurde während des Feldtests von den Projektpartnern in Zusammenarbeit mit den örtlichen Netzbetreibern umgesetzt.
„Technisch machbar, schnell skalierbar“
„Unsere gemeinsame Lösung beweist, dass gesteuertes Laden nicht nur technisch machbar, sondern auch schnell skalierbar ist“, so Dieter Kunstmann von IE2S. „Durch die direkte Ansteuerung des Elektrofahrzeugs lässt sich das System nahtlos in den Alltag der Nutzer integrieren – ganz ohne dynamische Preistarife, zusätzliche Systeme oder intelligente Messeinrichtungen. Dies ist ein entscheidender Schritt hin zu einer einfacheren, effizienteren und nachhaltigeren Elektromobilität.“ Eine Handelstätigkeit der Übertragungsnetzbetreiber außerhalb ihrer bisherigen Aufgaben sei jedoch im derzeitigen Rechts- und Verordnungsrahmen nicht vorgesehen und bedarf daher einer gesetzlichen Verankerung durch den Gesetzgeber.
Der aktuelle regulatorisch-rechtliche Rahmen ermöglicht es Verteilnetzbetreibern bereits, dezentrale Flexibilitäten im Rahmen der Differenzbilanzkreisbewirtschaftung zu bilanzieren und zu bewirtschaften. Das im Projekt erprobte System zur Messung, Steuerung und Prognose der Flexibilität könnte hierbei laut den Projektverantwortlichen eine zentrale Rolle einnehmen. Allerdings bleibe fraglich, ob alle Verteilnetzbetreiber diese Aufgabe vorübergehend übernehmen können und wollen, bis der flächendeckende Smart-Meter-Rollout realisiert ist. Mit geringerem Aufwand könnte die Vermarktung und die Bilanzierung der Flexibilität aus dezentralen Verbrauchseinrichtungen auch zentral durch die Übertragungsnetzbetreiber erfolgen. Hierfür müssten jedoch zunächst die notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Weiteres Potenzial für die Weiterentwicklung ihres Ansatzes sehen die Projektpartner in der Berücksichtigung des netzdienlichen Ladens und perspektivisch in der Bereitstellung von Regelreserve durch Elektrofahrzeuge, um insbesondere den Restriktionen und Anforderungen des Stromnetzes beim intelligenten Laden gerecht zu werden.
Ihre Meinung