Fehlende Planbarkeit, Umsatzrückgänge und steigende Kosten setzen die Krise in der Automobilindustrie weiter fort, so der Kreditversicherer Atradius. Besonders die Zulieferer gerieten immer stärker unter Druck. „Im zweiten Quartal haben wir zwar eine leichte Erholung der Automobilzulieferer gesehen, jedoch ist es immer noch die am stärksten von Insolvenzen betroffene Branche“, sagt Dietmar Gerke von Atradius. Die Auswirkungen der Zollpolitik mit den USA würden erst im zweiten Halbjahr spürbar.
Die deutsche Wirtschaft erreichte laut Atradius im ersten Halbjahr 2025 einen neuen Negativrekord: 207 Großinsolvenzen von Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als zehn Millionen Euro. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2024, dem bisherigen Rekordjahr, stieg die Zahl um 21 Prozent. Spitzenreiter ist die Automobilzulieferindustrie mit 18 Großinsolvenzen im ersten und elf im zweiten Quartal 2025. „Die Anzahl der Insolvenzen ist zwar gesunken, jedoch bleibt die Situation weiterhin angespannt“, erklärt Gerke. Die Nichtzahlungsmeldungen erreichten schon jetzt beinahe das Niveau von 2024.
Obwohl zwischen Autoherstellern und Zulieferern Abnahmevereinbarungen bestehen, fehle es in der Praxis häufig an Verlässlichkeit seitens der Hersteller. Für Zulieferer bedeute das fehlende Planungssicherheit und eine hohe Abhängigkeit. Gleichzeitig konzentrierten sich die Hersteller auf einen kleineren Kreis an Zulieferern, da die Produktion insgesamt zurückgehe.
„Besonders kleinere Zulieferer geraten zunehmend in Bedrängnis“
„Besonders kleinere Tier 3- und Tier 4-Zulieferer geraten zunehmend in Bedrängnis, da ihnen die finanziellen Puffer fehlen“, so Gerke. Der steigende Wettbewerb führe zu einem deutlichen Umsatzrückgang. Zudem seien viele Unternehmen noch auf die Herstellung von Verbrennerkomponenten ausgerichtet und stünden vor enormen Umrüstungskosten, um ihre Zukunft sichern zu können.
Die E-Mobilität könnte zwar Nachfrageimpulse setzen, etwa durch Kaufprämien oder gezielte Förderung, doch die aktuelle Infrastruktur in Deutschland sei nicht auf eine großflächige Umstellung ausgelegt und die notwendigen Investitionen fehlten vielfach. Ohne tiefere staatliche Anreize und Ausbau der Lade- und Produktionsinfrastruktur bleibt laut Atradius ein schneller Strukturwandel für viele Zulieferer unwahrscheinlich.
Zusätzlich verschärfe die Zollpolitik die Situation: Während sich die USA und die EU zwar auf einen Basiszollsatz geeinigt haben, bleibt die Unsicherheit über die weiteren Entwicklungen. Um den US-amerikanischen Markt nicht zu verlieren, planen mehrere Automobilhersteller Produktionsanlagen in den USA zu errichten. „Über kurz und lang werden Zulieferer nachziehen müssen und ebenfalls in die USA umsiedeln, um bestehen bleiben zu können. Viele kleinere Zulieferer werden sich das allerdings nicht leisten können“, so Gerke. Als Folge würden Kapazitäten in Deutschland, zum Teil unwiederbringlich, abgebaut.
Banken reagieren laut dem Kreditversicherer auf die aktuelle Situation der Autozulieferbranche und agieren zunehmend restriktiv. Eine Kreditausweitung oder Refinanzierung sei für viele Unternehmen schwieriger zu bekommen, wodurch die Liquidität leidet. „Wir wollen in der Kreditversicherung keine Branche ausschließen, auch nicht die Automobilindustrie“, unterstreicht Gerke. Wichtig sei eine differenzierte Betrachtung: Neben aktuellen Liquiditätsnachweisen und Zahlen spiele vor allem die strategische Ausrichtung eine Rolle. Entscheidend sei, wie Unternehmen mit den Herausforderungen umgehen, auch wenn sie Verluste schreiben.

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