Deutschlands Industrie zählt zu den weltweit größten Verbrauchern von mineralischen Rohstoffen. Dass der Großteil davon aus einigen wenigen Ländern importiert wird, birgt ein zunehmendes Risiko für die sichere Versorgung und damit für die Grundlage von Wachstum und Wohlstand.
Würde zum Beispiel China als Hauptlieferant von Lithium und Lithium-Produkten wie Akkus ausfallen, drohe der deutschen Industrie ein Verlust von Wertschöpfung in Höhe von bis zu 115 Milliarden Euro, davon allein 42 Milliarden in der Autoindustrie. Zu diesem Ergebnis kommen Experten der Unternehmensberatung Roland Berger und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in ihrer gemeinsamen Studie „Wege aus der Abhängigkeit – wie Deutschland die Rohstoffe für eine zukunftsfähige Wirtschaft sichert“.
Neben dem Extrembeispiel Lithium zeigen die Autoren anhand anderer Beispiele, wie wichtig eine umfassende politische Strategie für die sichere Versorgung mit kritischen Rohstoffen ist, zumal der Bedarf weiter steigt. Sie empfehlen daher ein Bündel an Maßnahmen wie die Stärkung der heimischen Rohstoffförderung und -verarbeitung, die Diversifizierung der Lieferländer sowie technologische Innovationen, zum Beispiel den Auf- und Ausbau einer Kreislaufwirtschaft.
„Die Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrie ist maßgeblich von einer gesicherten Rohstoffversorgung abhängig, da diese für Schlüsseltechnologien relevant ist“, sagt Marcus Berret von Roland Berger. „Ohne diese sind weder die Wende zur E-Mobilität noch die Energiewende möglich. Im Gegenteil: Durch Transformationen wie die Dekarbonisierung und die Digitalisierung steigt die Nachfrage nach bestimmten Rohstoffen weltweit massiv.“ So prognostiziere die internationale Energieagentur IEA bis 2040 einen Anstieg des globalen Lithiumbedarfs um das 42-fache gegenüber 2020. Ähnliches gelte für Grafit (25x), Kobalt (21x), Nickel (19x) und Mangan (8x).
„Die teilweise problematisch hohe Abhängigkeit der deutschen Industrie von Rohstoffimporten aus einzelnen Ländern ist hinlänglich bekannt“, so BDI-Präsident Siegfried Russwurm. „Trotz aller Bemühungen, sie zu reduzieren, hat sie in den vergangenen Jahren sogar noch zugenommen, wie unsere Studie zeigt.“
Die Autoren haben für 48 kritische Rohstoffe die Importkonzentration berechnet, ein Maß für die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern: Im Jahr 2023 war diese demnach bei 23 Rohstoffen hoch bis sehr hoch und ist bei zehn dieser Rohstoffe sogar gestiegen. So bezog Deutschland 2014 noch 32 Prozent seiner Importe von Seltenen Erden aus China, 2023 waren es bereits 69. Bei Germanium stieg der chinesische Anteil von 23 auf 40 Prozent, bei Bismut von 24 auf 95 Prozent.
Abhängigkeiten haben zugenommen, vor allem von China
Betrachtet man nicht nur die Rohstoffe selbst, sondern auch daraus hergestellte Produkte, verschärft sich das Bild laut der Studie (PDF) nochmals. Beispiel Lithium: Zwar ist die Importkonzentration bei Lithiumkarbonat gesunken, doch bei weiterverarbeiteten Lithiumprodukten wie Akkus und Batterien steigt sie schnell und stark an. So importierte Deutschland 2014 noch 18 Prozent seiner Lithium-Akkus aus China, heute sind es bereits 50 Prozent.
Sollte es – etwa durch Handelskonflikte – zu einem Totalausfall von China als Lieferant kommen, wären insgesamt gut 80 Prozent des deutschen Imports von Lithium und Lithium-Produkten betroffen. Allein im Automobilsektor sind 34 Prozent der Wertschöpfung oder 52 Milliarden Euro auf lithiumhaltige Produkte angewiesen, somit wären hier 42 Milliarden Euro Wertschöpfung in Gefahr.
„Durch die direkten und abgeleiteten Auswirkungen auf die Automobilindustrie entstünde gar ein volkswirtschaftlicher Schaden von rund 88 Milliarden Euro. Werden zudem Auswirkungen in anderen Sektoren des verarbeitenden Gewerbes berücksichtigt, ergibt sich ein gesamtwirtschaftlicher Schaden von 115 Milliarden Euro“, so die Studienautoren.
Deutschland hat eigenes Potenzial noch nicht ausgeschöpft
„Das Beispiel Lithium zeigt besonders drastisch, wie groß die Risiken einer Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern sind“, führt Berret aus. „Aber auch bei anderen kritischen Rohstoffen sieht es kaum besser aus. Darum ist es höchste Zeit, Maßnahmen zu ergreifen und mit einer neuen, wirksamen Gesamtstrategie gegenzusteuern.“ Diese müsse auf drei Säulen stehen: Zum einen solle die heimische Rohstoffförderung und -verarbeitung gestärkt werden. Deutschland schöpfe zum Beispiel bei Lithium sein Potenzial bisher nicht aus. Dafür brauche es unter anderem politische und regulatorische Planungssicherheit, staatliche Investitionen sowie finanzielle und steuerliche Anreize.
Die zweite Säule sei die Diversifizierung der Lieferländer, etwa durch Aufbau neuer und Vertiefung bestehender Rohstoffpartnerschaften. Zudem sollte Deutschland eng mit unterschiedlichen Abnehmerländern zusammenarbeiten, um Synergien zu nutzen und gemeinsame Standards sowie Strategien zu entwickeln.
Als dritte Maßnahme für mehr Resilienz der Rohstoffversorgung nennen die Studienautoren technologische Innovationen wie den zügigen Aufbau der Kreislaufwirtschaft. Während die meisten metallischen Rohstoffe beliebig oft recycelt werden könnten, müssten für andere Rohstoffe noch entsprechende Recyclingtechnologien entwickelt werden. Daher seien Investitionen in Forschung, Entwicklung und Transfer von Schlüsseltechnologien im Bereich der Kreislaufwirtschaft nötig.
„Auf Basis dieser drei Hebel muss Deutschland schnell konkrete Maßnahmen umsetzen, um die Abhängigkeit von einzelnen Ländern wirksam zu reduzieren“ schließt Russwurm. „Denn von der Verfügbarkeit dieser Rohstoffe hängt die Zukunft der deutschen Wirtschaft ab.“
David meint
Bezogen auf Deutschland waren wir das letzte Mal nicht abhängig von Rohstoffen vor etwa 2000 Jahren. Und nichts hat eine bessere Tradition als Handelsbeschränkungen und Zölle. Worüber sich Touristen aus aller Welt freuen am Rhein sind im wesentlichen Überbleibsel von Festungen, von denen aus Strafzoll für die Schifffahrt erhoben wurde. Damals konntest du gerne alle 20 km zahlen.
Insofern sind Handelsschranken eher eine Normalität als eine Ausnahme. Eher ist es so, dass durch Fortschritte in der Technik zum Beispiel viel mehr Lebensmittel in Deutschland angebaut werden können und viel mehr Bodenschätze gefördert werden können als früher. Beispiel wären Zucker und Salz, um das beides früher Kriege geführt wurden. Aber auch ein riesiges Lithium Vorkommen, ist im Rheingraben entdeckt worden und VW zapft es sogar gerade an. Deutschland hat übrigens 3 % der weltweit bekannten Lithiumvorkommen. Für unsere Verhältnisse bemerkenswert.
Dass große Vorkommen gefunden werden, passierte übrigens gerade überall auf der Welt, u.a. jüngst in den USA. Erst jetzt, wo man sie braucht, sucht man auch richtig danach. Insofern wird man nicht von einer Quelle abhängig werden. Lithium ist kein rares Gut. Damit bricht auch die Fama zusammen, dass man den armen Indios ihr Wasser verdunstet, um an Lithium zu kommen.
Wie im Artikel erwähnt, ist unsere große Chance, über Recycling an sämtliche Rohstoffe überproportional heranzukommen. Gleichzeitig werden Elektrofahrzeuge die Abhängigkeit von Ölimporten zusammen mit dem Verbot der Ölheizung und dem Umstieg der Industrie auf Strom und Wasserstoff deutlich verringern.
Allerdings wird in dem Artikel auch viel miteinander vermengt. Da wird von verarbeitetem Lithium in Batterien gesprochen und dass wir da einen sehr hohen Importanteil haben. Das haben wir. Nur ist das überhaupt kein Problem, weil die Gegenseite die Ressourcen nicht verknappen kann. Auch in China sind das alles Wirtschaftsunternehmen und sie haben Milliarden investiert, um in großer Zahl Batteriezellen zu fertigen. Es ist eine gegenseitige Abhängigkeit, nicht eine einseitige.
Das sehen wir ja gerade schon auf dem Consumer Markt: Solarpanels werden hinterher geschmissen. Es gilt nicht mehr die Fama, man habe in Coronazeiten Bestände angehäuft. Das gleiche passiert mit Zellen. Ich weiß nicht, ob ihr die Preise verfolgt, aber der günstigste 10 kWh Speicher auf eBay kostet 1400 €. Ich erinnere noch sehr gut, dass vor wenigen Jahren 14000 ein guter Preis waren.
Futureman meint
Und kaum versucht sich Deutschland in einem Bereich unabhängig zu machen (beim Strom) wird massiv darauf eingedroschen. Da wird nach der Wahl einiges gestrichen, damit der Wandel nicht zu schnell geht und an allem fossilen lange festgehalten wird. Zukunft ist von vielen nicht gewünscht. Da sind die Chinesen wesentlich offener und profitieren jetzt (und in Zukunft noch mehr) davon.
Mark Müller meint
Die Situation ist noch viel dramatischer, als es die meisten meinen. Und sie wird sich noch verschlechtern. Die Konsequenzen der Abhängigkeit Deutschlands von China sind heute schon real. Warum war D gegen die Importsteuern für chinesische Autos? Warum ist ein chinesisches BEV so viel billiger als ein deutsches? D sollte sich mindestens ein Stück weit aus dieser Abhängigkeit lösen, aber ich sehe eigentlich auch nicht, wie das geschehen könnte.
BEV meint
China macht das schon ganz gut, bei den Rohstoffen und auch den fertigen Zellen (genau so wie auch bei vielen anderen Produkten) untergräbt man die Chance einen Wettbewerb in Europa aufzubauen, in dem die Preise immer schneller fallen
Selbst wenn wir die Rohstoffe hier in Europa finden, muss erst viel Geld investiert werden und man wird wahrscheinlich dauerhaft teurer bleiben als China. So gesehen geht es nur mit viel Geld bzw. Abschottung / Zöllen.
die Zellen aus China sind so heute günstig, dass jede Investition in eine europäische Zellproduktion nur möglich sind, wenn unglaublich viel Geld investiert wird und man muss eine sehr lange Durststrecke überstehen.
South meint
Prinzipiell ist die BRD nicht viel mit Rohstoffen gesegnet und wir hatten schon immer starke Abhängigkeiten von Importen/Exporten. Verstärkt kommt aber vor, dass die Exportstaaten systematisch die Exporte relativ ungeniert als Dr ohpot ent ial aufbauen und auch einsetzen, mit dem Ziel eigene völ ker re chts wid rige Positionen durchzusetzen. Die USA als ehemaliger Wächter des Wohlstand durch Freihandel, mit all den Institutionen wie die WHO dahinter, verliert einerseits an Bedeutung und tritt auch mittlerweile selbst protektionistisch auf.
Es bleibt uns im Grunde keine Wahl. Nur als Europa haben wir überhaupt noch ein Gewicht, dann muss der Staat und vorallem die Industrie diversifizieren was auch nur möglich ist und müssen ein Plan B in der Schublade haben. Sich darauf vorbereiten.
Einzeln und isoliert als Nationalstaaten und ohne Plan in Abhängigkeiten zu begeben würde uns schlicht ruinieren….
Jeff Healey meint
Diese Erkenntnisse kommen ja früh.
Circa 30 Jahre zu spät.
Guten Morgen.
Und gute Nacht.
Rene meint
So einfach ist es leider nicht – wir haben auch 30 Jahre lang genügend profitiert – und glaubten auch noch an den „Wandel durch Handel“.
Eigentlich hat sich das alles geändert durch die Aggression Russlands gegen die Ukraine bzw. nach Putins Worten auch gegen USA und Europa; China soll halt ein weiterer geostrategischer Partner Russlands werden, so wie Nordkorea und der Iran.
Jeff Healey meint
Ganz ehrlich:
All das, war schon vor langer Zeit abzusehen.
Vor 30 Jahren.
Wandel durch Handel ist prinzipiell ein guter Ansatz und immer wieder einen Versuch wert. Man darf dies niemals aufgeben. Jedoch nicht ohne die gleichzeitige, strategische Absicherung der eigenen, vitalen Interessen.
Elvenpath meint
„Die teilweise problematisch hohe Abhängigkeit der deutschen Industrie von Rohstoffimporten aus einzelnen Ländern ist hinlänglich bekannt“
Gut, dass das bei Öl ja nicht der Fall ist, gelle?
Mark Müller meint
Beim Öl gibt es etwa 20 grössere Produzenten, bzw. Lieferanten, beim Lithium ungefähr einen. Siehst Du den Unterschied?
BEV meint
der Unterschied ist auch im Falle des Autos: Das Öl kauft der Kunde, das Lithium kauft der Hersteller
Elvenpath meint
Ein Lieferant? Halte ich für ein Gerücht.
Aber das Wichtigste: Ein Verbrenner-PKW benötigt ständig neues Öl. Bleibt dieses aus, steht er sobald der Tank leer ist. Ein E-Auto benötigt nur bei der Herstellung Lithium. Das Ausbleiben von Öl bringt sofort alles zum Stillstand.
Siehst du den Unterschied?
Future meint
Diese massive Abhängigkeit bei den Rohstoffen aus China wird in Deutschland viel zu wenig diskutiert. Selbst wenn eine Skalierung der Zellproduktion in Europa gelingen sollte, besteht die Abhängigkeit bei den Rohstoffen weiterhin. Diese sind halt so schön günstig in China.
Die Gegner der Energiewende werden sich aber über das Ergebnis der Studie freuen, denn sobald China als Lieferant ausfallen sollte, geht es ja wieder so schön rückwärts in die »gute alte Zeit«.
Fred Feuerstein meint
Ist doch kein Problem, erst muss etwas passieren, dass man Abhängigkeiten erkennt und abstellt. Hat man doch wunderbar unter der letzten 16 Jahre andauernden Regierung gesehen, da hat man langjährig auf billiges russische Gaslieferungen vertraut, obwohl die Krim bereits von Russland gewaltsam annektiert wurde.
Fliegender Holländer meint
Europa ist nicht gerade gesegnet mit Rohstoffen. Ich frage mich wie sich alles entwickeln würde, wenn nur noch Norwegen und Großbritannien unser Öl und Gas liefern.
Bis jetzt sind wir aber sehr erfolgreich dieses Manko zu umgehen.
Jeff Healey meint
Ja.
Mit amerikanischem Fracking-Gas.
Halleluja.