Stefan Krüger ist Vorstandsmitglied des Stuttgarter „Elektromobilistenvereins“ Electrify-BW e.V. und begeistert vom neuen Elektro-SUV Tesla Model X. Warum, erörtert er in dem folgenden Gastbeitrag:
Der Berg kreißte und gebar eine… Nein, das war diese andere Geschichte, wo jemand jahrelang Versprechungen machte und dann ein doch überschaubares Ergebnis vorzeigte.
Das kann man bei der Präsentation des Model X von Tesla, einem sogenannten „SUV“ nun wirklich nicht sagen. Für viele Menschen sind diese SUVs je nach Betrachtungsweise wunderbare Allroundautos, mit erhöhter Sitzposition, erweitertem Sicherheitsgefühl und fast unbegrenzter Nutzbarkeitserwartung. Für andere ist diese Fahrzeugklasse schlicht der erhobene Stinkefinger gegen jede Umwelt- und Verkehrsdiskussion.
Nun also stellt Tesla sein Model X in der Serienversion vor und übergibt gleich die ersten fünf Fahrzeuge an Kunden. Sehnsüchtig hatte der weltweite Fan-Tross gewartet und spekuliert. Wer jetzt ein weiteres Mitglied im Kreise der Vorstadt-Panzer erwartet hatte, wurde doch ziemlich herb enttäuscht. Keine aufwallende Front mit unübersichtlichem Kühlergrill und der Möglichkeit die dringend notwendigen Cow-Catcher nachzurüsten. Keine Truck-ähnliche Sitzposition. Keine Stollenreifen mit 15 mm Profil.
Statt dessen eine geschmeidige Großraumlimousine mit der Silhouette eines eleganten Coupés und einem cw-Wert von 0,24. Die Freunde rustikalen Fahrzeugdesigns werden hier „zero Points“ vergeben, den Liebhabern von ausgefeilter Karosseriegestaltung könnte vielleicht das Herz überlaufen.
Das Fahrzeug hat Crashtest-Werte, die bisher kein Serienfahrzeug erreicht hat. Auf der seitherigen 1-5-Sterne-Skala erreicht dieses Fahrzeug gut 5,6 Sterne, es ist in allen Testszenarien um mehr als den Faktor zwei besser als der beste Wettbewerber. Argument „passive Sicherheit“: CHECK! Damit nicht genug, hat Tesla die serienmäßigen Sensoren, die einmal für teilautonomes Fahren zuständig sein sollen, für die aktive Sicherheit eingesetzt. Bei Kollisionsgefahr leitet der Wagen je nach Situation eine Notbremsung oder ein Ausweichmanöver ein. Hier wird ein plausibler Funktionsnachweis, vor allem der Ausweichfunktion, sicher sehr spannend.
Zum Thema „Sicherheit“ zählt Tesla nun auch noch die Aufbereitung der Innenraumluft. Ein fast unvorstellbar großer Vorfilter und eine wohl speziell beschichtete zweite Filterstufe sollen für „Reinluft in Operationssaal-Qualität“ sorgen. Ziemlich vollmundige Ankündigung, kombiniert mit einem „Schalter gegen Biologische Angriffe“. Bleibt nur die Frage, wie die Passagiere dann wieder an die feindliche Umwelt übergeben werden sollen, Reinraumschleusen waren nicht zu sehen. Immerhin feinen Humor kann man Musk attestieren.
Wohl zu sehen waren aber diese legendären Türen mit den legendären Türgriffen. Fangen wir mal vorne an. Der eingebaute Buttler erkennt seine sich nähernde Fahrerin oder seinen Fahrer automatisch und öffnet wie von Geisterhand die Fahrer- oder Beifahrertür. Einmal Platz genommen, schließt sie sich auch gleich wieder – automatisch. Hat man sowas schon mal gesehen?
Und dann die zweite und dritte Sitzreihe mit diesen „Falcon-Wing-Doors“, den Flügeltüren. Hatte man im Vorfeld ja schon gehört, das soll, nein es muss kommen, so Tesla-Chef Elon Musk. Nun hatten sich im Automobilbau automatisch öffnende Schiebetüren und Kofferraum- oder Heckklappen schon fast zur Standardausstattung ab der gehobenen Mittelklasse etabliert.
Mancher hat sich gefragt, was der substantielle Komfortgewinn sein könnte. Und nun Flügeltüren a la 300 SL? Die allfälligen Fragen kontert Elon Musk in seiner Show sehr elegant: selbst in der zugeparktesten, engsten Parklücke öffnen diese Türen elegant und lassen ein Ein- und Aussteigen zu, wo man selbst mit Schiebtüren kaum das Fahrzeug verlassen kann. Die einzige Frage, die hier bleibt: wie eigentlich kommt in so einer engen Parklücke der Fahrer aus dem Auto?
Bemerkenswert auch die Sicht aus der ersten Reihe in die Umwelt: fast wie aus dem Cockpit eines Helikopters genießt man eine unglaubliche Rundumsicht. Wo das Model S noch ein optionales Glasdach hat, zieht sich die Windschutzscheibe nahtlos bis zum Beginn der Flügeltüren. Zum Vergleich: Da, wo im Bild der Rückspiegel sitzt, liegt bei normalen Fahrzeugen der obere Holm der Windschutzscheibe.
Eine Premiere im Bereich der reinelektrischen Fahrzeuge ist auch die lange erwartete Anhängekupplung. Bisher darf man kein einziges E-Mobil mit einem Hänger betreiben, so fallen auch die beliebten Fahrradträger weg. Hier nun wird das Model X seiner Gattung „SUV“ gerecht. Mit einer Zuglast von gut 2.250 kg liegt der Wagen in der Oberklasse. Lediglich einige konventionelle, sehr schwere Geländewagen liegen im Bereich von 2.500 bis 3.500 kg. Da die Falcon-Wing-Doors den Einsatz eines Dachträgers nicht erlauben, gibt es einen Heckträger, der auch von Kindern in wenigen Sekunden angebaut werden kann. Hier lassen sich vier Fahrräder oder sechs Paar Ski komfortabel transportieren.
Als weiteres Highlight dieses Fahrzeugs dürfen die Sitze der zweiten Sitzreihe durchgehen. Auf einen Knopfdruck hin machen sie elegant Platz, fahren vor und neigen sich für den guten Zugang zur dritten Reihe. Auch optisch sehen diese Sitze verlockend aus. In der Ausstattung des Wagens kann man wählen, ob in der zweiten Reihe zwei oder drei Sitze montiert sein sollen.
Bei den Fahrleistungen gibt es eigentlich keine Überraschungen, wenn man das Model S kennt. Den Fahrern der konventionellen SUVs, denen Tesla noch neu ist, dürften allerdings die Ohren klingeln: Beschleunigung des „Standardmodels“, schon mit Allradantrieb, von 0 auf 60 MpH (ca. 96 km/h) in 4,8 Sekunden, das „Performance-Modell“ absolviert das in 3,2 Sekunden. Das verspricht Spaß! Zum Serienstart verfügt das angebotene Modell X 90D übrigens über einen 90 kWh Akku und schafft damit nach dem etwas strengeren amerikanischen Testzyklus 413 km, was sich erfahrungsgemäß in der Praxis dann bei ca. 350 km einpendeln dürfte. Die Höchstgeschwindigkeit liegt mit 250 km/h im „gewöhnlichen“ Bereich. Verzicht vom Kunden zu erwarten ist nicht Musks Ding.
Bleibt zum Schluss die Frage, was denn das Model X mit einem Berg zu tun hat. Die seitherige SUV-Klasse gaukelt ihren Käufern ja gerne vor, auch durchs Gelände, über Stock und Stein, durch Bäche und über wilde Wiesen fahren zu können. Die Käufer goutieren diese gefühlte unendliche Freiheit mit bemerkenswerten Verkaufszahlen. Tesla macht hier nicht einmal den Versuch, ein Fahrzeug in diese Abgründe zu schicken. Stattdessen reduziert der Hersteller kurzerhand die Klasse wieder auf das was sie sein könnte: vielseitige, familiär und für die (anderweitige) sportliche Betätigung nutzbare Universalfahrzeuge.
Auf diese Höhe müssen die Klassenkammeraden erstmal kommen.
Matthias meint
Ich habe letzte Woche mein Modell X bestellt. Lieferzeitpunkt September /Oktober (unverbindlich in Aussicht gestellt)…. Hoffentlich verspätet sich Tesla nicht wieder allzu sehr
Christoph meint
Kleine Anmerkungen zum sehr gut geschrieben Bericht.
Der Renault Kangoo Z.E darf auch Anhänger ziehe, wenn auch kleine.
Und der voin Tesla angepriesene Fahrrad- und Skihalter darf in Deutschland so nicht benutzt werden, da er Kennzeichen und Rückleuchten verdeckt.
Aber dafür gibt es ja Träger für die AHK in Deutschland mit Wiederholungskennzeichen und -leuchten.
Tom meint
Super Bericht, den ich gerne unterschreibe! Auch wenn ich mir leider weder S noch X leisten kann…
Starkstrompilot meint
Hallo Stefan,
prima Bericht und ganz Deiner Meinung. Schätze, da werden noch einige Sprithirne dran zu knabbern haben, bis sie bemerken, was sie hier überholt hat.
Tesla macht es sich wohl zum Hobby, sämtliche Testskalen zu sprengen. Warum tun das die anderen eigentlich nicht? Die ja ach so viel Erfahrung im Automobilbau haben.
Sind wohl am Ende der Entwicklung angekommen, haben es nur noch nicht bemerkt.