Der VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Dieselmotoren könnte positive Auswirkungen auf die weitere Entwicklung und Verbreitung von Fahrzeugen mit elektrifizierten Antrieben haben. Diesen Standpunkt vertreten weltweit zahlreiche Experten, wie der britische Guardian berichtet.
Martin Faulstich, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung, Professor für Umwelt- und Energietechnik an der Technischen Universität Clausthal sowie Geschäftsführer des Clausthaler Umwelttechnik-Instituts (CUTEC) geht noch einen Schritt weiter. Im Interview mit Zeit Online sagt er: „Wirklich umweltverträglich können nur Elektrofahrzeuge sein“. Er ist überzeugt, dass VW kein Einzelfall bleiben wird und die Branche auf zukunftsorientierte Techniken umsteigen müsse, sonst würde sie von Google überholt.
Faulstich begründet seine These unter anderen damit, dass mehr gefahrene Kilometer, mehr Gewicht und mehr Leistung der heutigen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren im Grunde alle Effizienzfortschritte der letzten Jahrzehnte wieder aufgezehrt hätten. Unabhängig von dem aktuellen Skandal wäre es sinnvoll, neue und realitätsnähere Tests auf den Weg zu bringen. Nur dann würde der Kunde vernünftige Informationen über den Kraftstoffverbrauch und den Schadstoffausstoß erhalten. Doch die zentrale Herausforderung heißt laut Faulstich „Wie soll in Zukunft Mobilität organisiert und bewirtschaftet werden?“
Er beantwortet die Frage selbst wie folgt: „Wenn es um den Klima- und den Gesundheitsschutz geht, gibt es nur eine Möglichkeit, die Elektromobilität. Sollen die Klimaschutzziele der Regierung eingehalten werden, müssen PKW und LKW bis 2050 ohnehin weitestgehend mit grünem Strom fahren; weil Elektrofahrzeuge keine Abgase erzeugen, hätte sich das Gesundheitsthema damit auch erledigt. Ich appelliere deshalb an alle, die aktuelle Krise, Dieselgate, als Chance zu nutzen, endlich das Thema Elektromobilität kraftvoll anzugehen. Das hat die deutsche Automobilindustrie bisher versäumt. Sowohl der Diesel- wie der Benzinmotor sind im Grunde zu Ende entwickelt, da sind nur noch geringe Verbesserungen zu erwarten. Wirklich umweltverträglich können nur Elektrofahrzeuge sein – vorausgesetzt natürlich, dass der Strom aus regenerativen Quellen stammt.“
Der renommierte Umweltexperte sieht derzeit noch Defizite bei den Rahmenbedingungen: „Gefordert ist die öffentliche Hand; sie sollte und könnte verstärkt Elektrofahrzeuge anschaffen statt herkömmliche Fahrzeuge. Gefordert ist aber vor allem die Automobilindustrie. Wenn sie in Deutschland das Modell Individualmobilität retten will, wenn sie also auch in den nächsten Jahrzehnten Millionen von Pkw verkaufen will, dann muss es in ihrem originären Interesse sein, auf zukunftsorientierte Techniken umzusteigen. Tut sie das nicht, dann muss man inzwischen sogar damit rechnen, dass amerikanische Internetfirmen schneller sind als VW, Mercedes und Co. Krisen bieten bekanntlich immer auch Chancen, VW und andere sollten diese nun beherzt nutzen.“
Stefan Krüger meint
Schön, dass jetzt so renommierte Personen, wie Professor Martin Faulstich sich hier so explizit äußern. Jetzt wären allmählich mal Signale der Politiker kommen, die dann auch bald mal in gesetzgeberische Konsequenz durchschlagen.
Ich finde es ja immer etwas scheinheilig, den Sinn der Elektromobilität mit dem Fortschritt bei den erneuerbaren Energien zu konditionieren. Richtig ist, dass es mit 100% Erneuerbaren und 0% Kohle und Atom erst richtig Sinn macht. Aber wir haben mit den Erneuerbaren einen funktionierenden Weg, der, wenn auch langsam, aktuell gegangen wird. Die Elektrofahrzeuge werden also von Jahr zu Jahr automatisch sauberer, was man von den Verbrennerfahrzeugen nicht sagen kann.
Richtig in Sachen Klima ist es sicher zu sagen:
„Wir müssen uns vom fossilen Kohlenstoff und der Kernkraft so schnell wie möglich trennen, in der Stromerzeugung, im Verkehr und auch bei der Beheizung unserer Gebäude“.
Tom meint
Interessant, dass er Google als Beispiel nennt, und nicht das viel naheliegendere US-Unternehmen. Aber Recht hat er: Das muss als Weckruf verstanden werden. Ich sehe die deutschen Autobauer bestenfalls im Mittelfeld. Jetzt – oder nie!
Stefan Krüger meint
Die deutschen Hersteller sind allenfalls im Mittelfeld der Zauderer. Was bei Daimler, Porsche und VW abgeht, kann man kaum „peinlich“ nennen. Und BMW ist nur in zarten Graustufen besser.
Wer erinnert sich denn noch an so klingende Namen wie Agfa, Kodak, Nordmende, Deutsche Grammophon, Nokia. Die waren alle mal auf ihre Art Vorreiter und Marktführer. Sie hatten uneinnehmbare Bastionen besetzt. Jetzt sind sie im besten Fall noch Labels, im schlechtesten Fall in Abwicklung befindliche Kostenblöcke.
Die tradierten Autohersteller stehen ja neben dem sichtbaren Ende der Entwicklungsfahnenstange in Sachen Effizienz und Schadstoffe bei Verbrennerfahrzeugen auch zusätzlich noch vor dem Problem sinkender Grenzwerte und der Verschärfung von Messverfahren.
Und dann droht da noch die Digitalisierung. Ich sehe da im Moment nichts als Abstand zum Marktführer Tesla. Apple und Google werden das kaum schlechter machen.
In der Medizin würde man vom „Risiko multiplen Organversagens“ sprechen.
Wer jetzt nicht eine 180° Wende einleitet, landet auf dem Firmenfriedhof der Geschichte. Es wäre ein Jammer!