Kleine und mittelständische Automobilzulieferer in Deutschland haben ihre relativ gute Liquiditätslage infolge der Corona-Hilfen in den vergangenen Monaten kaum genutzt, um ihr Geschäftsmodell auf die zunehmende Nachfrage nach Elektrofahrzeugen umstellen. Das geht aus einer Analyse des Kreditversicherers Atradius hervor.
„Die Nachfrage ist da – und trotzdem häufen sich die Probleme wieder in der deutschen Automobilindustrie“, erläutert Michael Karrenberg von Atradius. Der internationale Kreditversicherer sieht aktuell nur wenige Transformationsinitiativen seitens der kleinen und mittleren Anbieter hin zu mehr Produkten für die Elektromobilität. Mittelfristig dürfte hierdurch das Forderungsausfallrisiko erheblich steigen.
In den kommenden zwölf Monaten erwartet Atradius einen spürbaren Anstieg der Zahlungsausfälle bei den Lieferanten von deutschen Automobilzulieferern. Ganz akut belasten die Zuliefererfirmen die anhaltenden Produktionsverzögerungen bei den Herstellern infolge der Chipkrise, Lieferkettenengpässe sowie steigende Material- und Energiepreise. „Diese Herausforderungen werden zu erheblich mehr Insolvenzen unter den Zulieferern im kommenden Jahr führen“, prognostiziert Karrenberg. Vor diesem Hintergrund stufe Atradius seine aktuelle Bewertung für die Automobilbranche wieder auf „schwach“ herab. Noch im Juli habe man die Lage der Automobilbranche angesichts positiver Marktsignale zu „mittelmäßig“ aufgewertet.
Das drängendste Problem aus Sicht von Atradius ist derzeit der anhaltende Mangel an Mikrochips, die für die Herstellung sämtlicher Fahrzeuge benötigt werden. Der Engpass hat den Produktionsfokus der Automobilhersteller ganz erheblich in Richtung margenstärkerer Modelle wie Limousinen und SUV verschoben. Die Herstellung von Kleinwagen hat dagegen oft das Nachsehen und wurde zuletzt häufiger unterbrochen. Dass weniger Kleinwagen vom Band laufen, geht zu Lasten von zahlreichen Zulieferern, deren Produkte in solchen Pkw verbaut werden. „In den vergangenen Wochen sind dadurch bereits mehrere mittelständische Branchenakteure insolvent gegangen“, so Karrenberg.
Transformationsträgheit immer größeres Risiko
Von allen Branchen werde der Automobil-Bereich in den nächsten fünf Jahren derjenige mit den stärksten Transformationsprozessen sein, sagt Karrenberg. Mittelfristig sehe Atradius bei den deutschen Zulieferern vor allem Risiken aufgrund einer unzureichenden Produktpalette für Autos mit Elektro- oder Hybridantrieb. Die Corona-Krise habe die Nachfrage nach solchen Modellen noch einmal beschleunigt. Im dritten Quartal 2021 wurden in Europa erstmals mehr Hybrid- und Elektrofahrzeuge zugelassen als Dieselfahrzeuge, wie der europäische Herstellerverband ACEA jüngst bekannt gab. Demgegenüber gehen die Transformationsaktivitäten der hiesigen Zulieferer aus Sicht von Atradius relativ langsam voran.
„Insgesamt sind mittelständische Zulieferer in Deutschland noch nicht ausreichend auf den abzusehenden Wandel hin zu deutlich mehr elektrisch angetriebenen Fahrzeugen vorbereitet, um hierbei eine ähnlich große Rolle zu spielen wie bei den Verbrennungsmotoren“, so Karrenberg. „Die staatlichen Hilfen im Rahmen der Corona-Pandemie haben den Unternehmen zwar relativ viel Liquidität verschafft. Jedoch hatten gerade kleine und mittelständische Zulieferer kaum Kapazitäten, um diese Mittel für die Entwicklung von Automobilkomponenten der nächsten Jahre zu nutzen.“
Atradius empfiehlt Zulieferern, zügig zu reagieren und die Entwicklung konsequent mitzugehen. „Bis eine Unternehmenstransformation wirklich erfolgreich ist, vergeht oft viel Zeit. Unter drei Jahren dauert so ein Prozess eigentlich nie, in den meisten Fällen noch länger“, mahnt Karrenberg. Bei vielen Automobilzulieferern dürften sich die Probleme in den nächsten Jahren weiter verschärfen, weil die Elektromobilität immer schneller voranschreite. Ein großer Teil der Insolvenzen in den kommenden Monaten könnte deshalb bei denjenigen Zulieferern auftreten, deren Produkte bislang ausschließlich in Verbrennungsmotoren hineingehen.
Jürgen Baumann meint
Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.
Kona64 meint
So ganz einfach dürfte es nicht sein. Wer Auspuffanlagen produziert wird nicht das Know-how haben um für Elektroautos Teile zu produzieren. Deshalb ist es verständlich, dass man das tote Pferd noch reitet so lange es geht.
Andreas.d meint
Wer sich auf seine Kernkompetenzen fokusiert ist halt dann weg wenn niemand mehr Kerne will.
Es gibt ja auch Druckmaschinenhersteller, die jetz Wallboxen bauen…
Günter meint
Für Heidelberger Druck ist das mit den Wallboxen aber eher so etwas wie Briefmarken sammeln. Die haben nach wie vor enormstes know how in einer Technik, die über 100 Jahre alt ist. Digital hin oder her.