Die Koalitionsverhandlungen haben die Diskussion um eine Ausdifferenzierung der einheitlichen deutschen Strompreiszone auf die bundespolitische Ebene gehoben. Die kommende Regierung hat sich im Koalitionsvertrag vorerst auf den Erhalt des Status Quo geeinigt, doch die Debatte wird mit der Veröffentlichung des „Bidding Zone Reviews“ durch die europäischen Übertragungsnetzbetreiber Ende April erneut an Fahrt aufnehmen.
„Denn das Festhalten an der einheitlichen Strompreiszone erzeugt in zunehmendem Maße Fehlanreize, die wiederum Eingriffe von Seiten der Netzbetreiber zur Stabilisierung des Netzes notwendig machen (Redispatch)“, so die Denkfabrik Agora Verkehrswende. „Die Kosten für diese Eingriffe stiegen zwischen 2019 und 2023 von 1,3 auf 3,2 Milliarden Euro und könnten in den kommenden Jahren weiter anwachsen.“
Eine Umstellung von der einheitlichen Preiszone auf ein System lokaler Preise kann diese Kosten einsparen und zugleich die Versorgungssicherheit in Deutschland stärken, wie eine neue Studie von Agora und dem Fraunhofer IEE zeigt. Demnach lassen sich mithilfe lokaler Preise lassen Angebot und Nachfrage gezielter in Einklang bringen und damit das Übertragungsnetz gleichmäßiger auslasten. Bereits 2023 hätte ein solches System laut der Agora-Analyse die Stromkosten für Unternehmen und Haushalte im bundesweiten Durchschnitt um gut 6 Euro pro Megawattstunde senken können. Dieser Preisvorteil verstärke sich, wenn künftig mehr flexible Verbraucher und Speicher ans Netz kommen und der Ausbau der Erneuerbaren Energien voranschreitet.
„Das deutsche Stromsystem mit der einheitlichen Gebotszone ist derzeit blind für die Auslastung des Übertragungsnetzes. Um das Stromsystem zukunftsfest zu gestalten und hohe Kosten zu vermeiden, braucht es Preissignale, die lokale Produktion und Nachfrage realitätsnah abbilden“, sagt Markus Steigenberger, Geschäftsführer von Agora im Vorfeld der Veröffentlichung des Bidding Zone Review. Der Bericht der Übertragungsnetzbetreiber, der für den 28. April angekündigt ist, erörtert für das Jahr 2025 verschiedene Möglichkeiten zur Aufspaltung der einheitlichen Gebotszone. „Unsere Studie zeigt, dass durch lokale Preise teure Redispatch-Maßnahmen vermieden werden – damit können sie einen wichtigen Beitrag für einen günstigen und effizienten Strommarkt leisten.“
Lokale Preise als Lösung für Netz- & Kosteneffizienz
Das heutige System der einheitlichen Gebotszone mit Redispatch stößt durch die nachträgliche Anpassung von Erzeugung und Verbrauch auf dem Weg zu einem klimaneutralen Stromsystem laut Agora an seine Grenzen. Denn gerade Batteriespeicher und flexible Endverbraucher wie E-Autos, Wärmepumpen und Elektrolyseure erhielten momentan keine Anreize, ihren Stromverbrauch so anzupassen, dass Engpässe vermieden werden. Indem lokale Preise Angebot, Nachfrage und Netzauslastung in verschiedenen Regionen berücksichtigen, trügen sie zum Erhalt des hohen Niveaus der Versorgungssicherheit im deutschen Stromsystem bei und senken die Gesamtkosten.
Die Studie, die drei Szenarien verglichen hat – eine einheitliche Preiszone, einen Split in drei Preiszonen und eine Differenzierung in 22 lokale Preise – zeigt: Wenige große Preiszonen könnten weiterhin erhebliche Netzengpässe verursachen und bergen das Risiko späterer Zonen-Neuzuschnitte. Dagegen sind lokale Preise tendenziell von Vorteil, um die Marktakteure möglichst zielgenau zu informieren und Redispatch-Maßnahmen vorzubeugen. Ob es effizienter ist, diese lokalen Preise durch viele kleine Preiszonen oder ein System einzelner Netzknoten umzusetzen, erfordert weitere Untersuchungen.
Vorteile für Verbraucher & Auswirkungen auf Erzeuger
In einem Strommarktsystem, das auf lokalen Preisen basiert, würde ein Großteil der Verbraucher von niedrigeren Strompreisen profitieren. In der Studie wurden dazu Modellrechnungen mit bis zu 22 lokalen Preiszonen unter Verwendung der realen Strommarktdaten für die Jahre 2019 bis 2023 durchgeführt. Im Untersuchungszeitraum war der durchschnittliche lokale Strompreis in jedem Jahr geringer als der einheitliche Strompreis inklusive Redispatchkosten. Im letzten untersuchten Jahr 2023, wären in 18 von 22 lokalen Preiszonen die Preise um bis zu 33 Euro pro Megawattstunde geringer gewesen als im derzeitigen System mit einer einheitlichen Preiszone. Die Preissteigerungen in den übrigen vier Zonen lagen bei unter 2 Euro pro Megawattstunde. Deutschlandweit lag der Kostenvorteil 2023 im Durchschnitt bei 6 Euro pro Megawattstunde.
Im Zuge dessen würden zwar die Markterlöse für Erzeuger sinken – insbesondere die der Windenergie im Norden, die dann lokal zu niedrigeren Preisen verkauft werden müsste; hierdurch stiege dann der Zuschussbedarf über das EEG-Konto. Allerdings zeigen die Berechnungen, dass die betrachteten energiewirtschaftlichen Effizienzgewinne bereits in den vergangenen Jahren den steigenden Förderbedarf leicht übertrafen. Zusätzlich würde das System Anreize für einen am Verbrauch ausgerichteten, netzdienlichen Ausbau von Erzeugungskapazitäten setzen – insbesondere in den großen Verbrauchsregionen des Südens.
Engpassrenten als Kompensationsmöglichkeit
Ein System lokaler Preise würde zusätzlich zu den genannten Ersparnissen und Effizienzgewinnen erhebliche Engpassrenten generieren – also Einnahmen, die durch den Stromtransport zwischen den jeweiligen inländischen Zonen bzw. Netzknoten entstehen. In den letzten fünf Jahren hätten die Übertragungsnetzbetreiber jährlich durchschnittlich 1,2 Milliarden Euro an solchen Engpassrenten erzielen können. Diese zusätzlichen Mittel könnten dazu genutzt werden, um Nachteile für einzelne Großverbraucher in der Industrie auszugleichen. Da diese Unternehmen bereits heute von einer Befreiung der Netzentgelte profitieren, dürften sich die preissenkenden Effekte eines Systems lokaler Preise für sie vorerst kaum bemerkbar machen. Eventuelle Mehrbelastungen für diese Firmen, die oftmals im internationalen Wettbewerb stehen, könnten mit den Einnahmen aus den Engpassrenten kompensiert werden.
Auf dem Weg zu einem effizienteren Strommarktdesign
In den kommenden Jahren werde es wichtiger, das große Potenzial von Wärmepumpen, E-Autos, Elektrolyseuren und Speichern für das Stromsystem zu nutzen, so die Studienautoren. Dafür brauche es ein Instrument wie lokale Preise, das Verbrauchern ermöglicht, von günstigen Strompreisen zu profitieren und gleichzeitig die Versorgungssicherheit stärkt.
Ein erster Schritt auf dem Weg zu einem solchen System könnte eine Ergänzung der Preiszone um lokale Investitionssignale etwa für Kraftwerke und Elektrolyseure sein. Weiterhin sollte ein liquider Terminhandel für lokale Strommärkte etabliert und die Wirtschaftlichkeit von Investitionen in Erneuerbare Energie flächendeckend gesichert werden – etwa über einen neuen Investitionsrahmen. Um das Risiko von Preisschwankungen zu begrenzen, schlägt die Studie vor, zusätzlich marktliche Absicherungsmechanismen zu etablieren.
„Auch wenn der Koalitionsvertrag an einer einheitlichen Strompreiszone festhält, sollte die künftige Bundesregierung zeitnah ein Zielbild für einen lokal differenzierten Strommarkt erarbeiten. Dazu gehört eine mit den europäischen Partnern abgestimmte Roadmap zur Umsetzung lokaler Preise – für ein effizientes deutsches Stromsystem von den Küsten bis zu den Alpen“, sagt Steigenberger. „Unsere Studie und das dazugehörige Online-Tool sollen hierzu einen analytischen Beitrag leisten.“
Future meint
Wenn die Leute im Ort endlich billigen Strom bekommen, dann werden sie ganz bestimmt nichts mehr gegen die vielen Windräder der Schande am Horizont drumrum haben. Geld ist viel wichtiger als Horizont.
Monica meint
Da eh immer mehr Haushalte und Gewerbe sich Strom selber machen, dezentralisiert sich das Thema doch eh schon. Klar kann man die Strompreise in Bayern anders machen als an der Nordseeküste, wenn das was bringt ist doch gut. Lustig wird es halt, wenn wir mal eine Eigennutzung von Strom im Bereich von 80% haben… und dann Dunkelflauten kommen. Bei Strom muss man den max. Wert rückhalten an Leistung, sonst gehen sprichwörtlich die Lichter aus. Daher muss der EE Ausbau deutlich anders gehandhabt werden.
Lanzu meint
Ich bin gespannt, ob wirklich Bewegung in die Sache kommt. Gerade durch Anschluss von Batteriespeichern wäre das zu begrüßen. Dann könnten diese auch auf sinnvolle Preissignale reagieren. Ansonsten müssen diese Speicher auch wieder reguliert werden, damit diese nicht noch zusätzlich für Redispatch sorgen.
Ein bisschen steht die neue Koalition vor der Aufgaben möglichst Veränderung zu wollen, aber an allen möglichen Enden was machen zu müssen.
David meint
„In einem Strommarktsystem, das auf lokalen Preisen basiert, würde ein Großteil der Verbraucher von niedrigeren Strompreisen profitieren.“
Diese sogenannten Experten sollten sich mal die Realität anschauen. In der Praxis ist das Thema verfahrener und für den wechselwilligen Verbraucher wird der Strompreis durch die Investitionen seines lokalen VNB bestimmt. Macht der VNB wenig, ist der Preis niedrig, investiert er in die Zukunft, ist der Preis hoch. Also wird, wenn es geht, wenig investiert. Im Sinne des Verbrauchers. Das wissen die linken Brillenschlangen von Agora aber nicht, weil – in den Büchern steht es anders.