In Hamburg ist jetzt ein Elektroauto ohne Fahrer in der Kabine auf den Straßen unterwegs. Dabei handelt es sich nicht um ein besonders modernes Modell mit fortschrittlicher Selbstfahr-Technologie, sondern ein aus der Ferne von einem menschlichen Chauffeur gelenktes Fahrzeug. Verantwortlich dafür ist das Berliner Start-up Vay.
Bisher war zur Sicherheit noch ein Mensch an Bord der Vay-Fahrzeuge, seit Kurzem dürfen sie in der Hansestadt in einem vordefinierten Bereich komplett ohne menschliche Besatzung unterwegs sein. Dazu werden sie ferngesteuert aus der „Telefahrzentrale“. Das wurde erstmals im europäischen Straßenverkehr ohne Sicherheitsfahrer im Auto erlaubt. Die volle Fahrzeugkontrolle liegt jetzt beim sogenannten Telefahrer. Dieser sitzt an einer Telefahrstation mit Auto-Lenkrad und -Pedalen.
Für Vays CEO und Mitgründer Thomas von der Ohe war die erste Fahrt ein großer Meilenstein: „Als führendes Telefahr-Unternehmen sind wir schon seit mehr als drei Jahren mit ferngesteuerten Elektro-Autos auf öffentlichen Straßen in Berlin und Hamburg unterwegs. Mit der seit Dezember 2022 vorliegenden Ausnahmegenehmigung konnten wir jetzt das erste Auto ohne Sicherheitsfahrer:in erfolgreich auf einer öffentlichen Straße fahren lassen. Das ist ein riesiger Erfolg für unser gesamtes Team, aber auch für Hamburg und Europa. Im Kontext der rechtlichen Ermöglichung neuer Technologien ist das ein bedeutender Schritt. Deutschland kann die weltweite Vorreiterrolle in der Telefahr-Technologie einnehmen.“
Die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende der Stadt Hamburg ist Ausstellerin der entsprechenden Ausnahmegenehmigungen. Anjes Tjarks, Senatorin für Verkehr und Mobilitätswende: „Hamburg ist Vorreiter im Bereich digitaler und innovativer Mobilitätsangebote. Wir wollen sie bedarfsgerecht genau dort einsetzen, wo sie einen echten Mehrwert für die Menschen in ihrer täglichen Mobilität bringen. Vay schafft mit seinem Telefahrservice einen solchen Mehrwert: Keine Parkplatzsuche, emissionsfrei, digital buchbar und als bequemer Service, etwa für die ‚letzte Meile‘ von der Bus- oder Bahnstation bis vor die eigene Haustür.“ Ein positives Gutachten des TÜV SÜD war die Voraussetzung für die Ausnahmegenehmigung.
Vay arbeitet an einem Tür-zu-Tür-Service, bei dem die Kunden per App ein elektrisches Fahrzeug bestellen. Ein Telefahrer bringt dann das Auto direkt zu den Kunden – ferngesteuert aus der Telefahrzentrale in Hamburg. Dort sitzen die Vay-Fahrer an einer Telefahrstation mit allen notwendigen Bedienelementen. Über mehrere Bildschirme sowie Kopfhörer haben sie den Überblick über die Verkehrssituation. Wenn die Kunden an ihrem Ziel angekommen sind, übernimmt ein Telefahrer das Fahrzeug wieder, die Parkplatzsuche entfällt.
Der Service soll kostentechnisch bei Carsharing-Angeboten liegen und auf längere Sicht eine komfortable Alternative zum Privat-Pkw sein. „Mit dem Service von Vay können weniger elektrische Fahrzeuge mehr Menschen als beim konventionellen Individualverkehr innerstädtisch transportieren. Hohe Kosten für Mobilität sollen gesenkt werden, die Sicherheit im Straßenverkehr hingegen erhöht werden“, so das Start-up.
Steffen meint
Jetzt doch bald auch Home office für Taxifahrer:innen? :-)
Jensen meint
Lt. der Pressemitteilung der Firma ist es wohl so, dass die Fernsteuerung aus der Zentrale den Wagen fahrerlos bis zum Kunden steuert, der dann seine Strecke höchspersönlich fährt und nach dessen Fahrtende übernimmt der „Fernfahrer“ aus der Zentrale den Wagen wieder.
… für die Zentrale kann man nur hoffen, dass Auto nicht im Funkloch einer großen Parkgarage oder hinter einer Schranke verloren geht …
Jensen meint
Wenn der Service ohnehin einen Telefahrer für jedes ferngesteuerte Fahrzeug auf der Straße in der Zentrale erfordert, der zudem auf reibungslosen Datenfluss für seine Fernfahrentscheidungen zwingend angewiesen ist, sollte dieser dann nicht besser gleich selbst im Fahrzeug sitzen ?
Für den Anbieter kann es eigentlich nur dann wirtschaftlich interessant werden, wenn ein einzelner „Fernfahrer“ mehrere Autos parallel steuern könnte. Was bei dem Fahrzeugnachbau in der Zentrale samt Pedalen, diversen Monitoren und akustischer Übertragung wohl nicht praktikabel sein kann.
Aus meiner Sicht wäre es dringend geboten, dieses Fahrzeug klar zu kennzeichnen und auch den Verkehr in den befahrenen Straßen darüber in Kenntnis zu setzen bzw. davor zu warnen.
Der Fahrzeugumbau und die ganzen Nebenerscheinungen dürften den Wagen auch nicht gerade günstig werden lassen. Man darf gespannt sein.
Swissli meint
Die Wartezeit eines realen Fahrers wird stark reduziert wenn man zentral einen Telefahrer hat (die könnten theoretisch kurzfristig auf Abruf zuhause arbeiten). Bei einem Taxifahrer würde ich die Wartezeit auf 80% der Arbeitszeit schätzen. Bei einem Telefahrer vielleicht noch 20%. Parallel wird ein Telefahrer ganz sicher nicht mehrere Fahrzeuge steuern. Dafür gäb es keine Bewilligung.
Wenn Sie Carsharing mit einem echten Fahrer hinter dem Steuer machen, dann ist das Taxidienst mit denselben Kosten.
Ossisailor meint
Ich frage mich, ob ich mich in ein Auto ohne Fahrer reinsetzen würde, auch oder gerade wenn ein Telefahrer dafür notwendig ist, der aktuelle Situationen nur per Kamera beurteilen kann. Das kann Future-Freaks begeistern. Mich nicht.
Swissli meint
Der menschliche Fahrer hat sogar nur 2 „Kameras“ und muss dauernd den Blick vom Verkehr abwenden um die Übersicht zu behalten.
Notbremseassistent & Co sind ja bestimmt trotz Telefahrer aktiviert.
Swissli meint
Was ähnliches hat Nissan (?) vor ein paar Jahren schon mal ausprobiert. Allerdings hat dort ein „Telefahrer“ erst bei Situationen eingegriffen, wo das Autonomiesystem überfordert war (z.B. enge Baustelle).
Finde Steuerung jederzeit über Telefahrer aber eine gute pragmatische Zwischenlösung bis autonomes Fahren wirklich zu 100% funktioniert.
Das wäre jetzt eigentlich der Moment für Taxiunternehmen! Die könnten damit ca. 3/4 des Fahrpersonals (und somit Kosten) einsparen, weil die meiste Zeit im Taxi gewartet wird. Telefahrer würden dann zuhause nur für die effektive Zeit des Fahrens bezahlt – ein idealer Nebenjob.
Nehme an das läuft über 5G, womit man mal eine sinnvolle Anwendung hätten für die kurze Latenzzeit. Die Kombination autonom + Telefahrer würde sich m.M. nach auch für die Vorreiter von autonomen Fahren als Übergangslösung lohnen. Stichwort Schlechtwetter, schmale Strassen (Ausweichstellen zum Kreuzen), enge Gässchen, Spezialsituationen usw.
TOm meint
Ja eigentlich verwunderlich dass Tesla nicht an der Teleoperation arbeitet, finde den Autopilot eigentlich sehr beeindruckend, kommt aber doch immer wieder in Grenzsituationen wo man dann aus der Ferne eingreifen könnte.
Jedenfalls gut zu wissen dass wenn das autonome fahren zu 100% doch nicht klappen sollte, Brummi fahren zu einem home office job werden wird.
Swissli meint
Tesla ist mir spontan auch in den Sinn gekommen. Aber sie müssten über den eigenen Schatten springen („Eingeständnis“ dass Robottaxi z.Zt. nur mit Zusatz Telefahrer funktioniert).
Für Uber oder Lynx wäre Telefahrer aber wirklich interessant. Denn bisher hatten sie keinen wirklichen Kostenvorteil gegenüber bisherigen Taxis (abgesehen von App für Bestellung usw.). Denn bisherige Auto- und Fahrerkosten konnte Uber und Lynx nicht gross unterbieten – für den Kunden wurden dann Rabatte gewährt, die aber Verluste generierten.