Nach der Insolvenz des schwedischen Elektroauto-Akkufertigers Northvolt und weiteren gescheiterten Plänen zum Aufbau einer europäischen Infrastruktur zur Produktion von Batteriezellen sind sich Experten zunehmend einig, dass Europa den Vorsprung asiatischer Hersteller kaum noch aufholen kann.
„Wenn man sich die europäische Landkarte anschaut, stellt man fest, dass allein im letzten Jahr um die 500 Gigawattstunden Zellfertigungskapazität abgemeldet worden sind“, so der Autoexperte Philipp Seidel, Principal der Unternehmensberatung Arthur D. Little im Gespräch mit Auto Motor und Sport. Es gäbe zwar einige „Gigafactorys“ in Europa, doch diese seien zunehmend von asiatischen Zellherstellern realisiert.
„Wir – die Unternehmen und die Konsumenten – müssten sehr viel Geld in die Hand nehmen, um die Lücke zu China zu schließen. Aber dafür fehlt die Investitionsbereitschaft“, sagte Seidel.
Gründe für die Probleme beim Aufbau einer europäischen Zellfertigung seien der technologische Vorsprung der Experten aus China, deren große Erfahrungen in der Produktion sowie der Mangel an eigenen Fachkräften, erklärte der Zellforscher Joachim Sann von der Universität Gießen. „Wenn wir Europäer eine Fabrik hochziehen wollen, sind wir auf chinesische Maschinen und Anlagen angewiesen und auf chinesische Experten, die sie zum Laufen bringen.“
Hoffnungen ruhen auf den großen Autobauern
Allerdings denkt Sann mit Blick auf Stellantis, Mercedes-Benz sowie VW, dass die Zellfabriken, hinter denen große Autohersteller stehen, eine Chance haben. „Ich glaube schon, dass ACC in Frankreich und PowerCo in Deutschland über einen langen Atem verfügen. Aus dem einfachen Grund, dass die Zellproduktion für die Autohersteller, die hinter ihnen stehen, von großer strategischer Wichtigkeit ist.“
Jedoch kommen neue Probleme auf die Europäer zu durch den Trend weg von den Nickel-Mangan-Cobalt-Zellen (NMC) hin zur günstigeren Lithium-Eisenphosphat-Chemie (LFP). Das habe die Europäer „gerade kalt erwischt“, so Unternehmensberater Seidel. „Die meisten Akteure haben in der Planung auf NMC gesetzt, und jetzt wird klar, dass man Lithium-Eisenphosphat-Zellen braucht, um im Massensegment leistbare Elektroautos um 20.000 Euro zu bauen.“
Die Kostenstruktur in Europa sei zu schlecht, um mit China mitzuhalten, weil „die Arbeitsbedingungen und die Energiesituation bei uns ganz anders sind als in China. Und weil die Regulierungsseite in Brüssel und Berlin zwar gut gemeinte Ansätze verfolgt, tatsächlich jedoch Verunsicherung schafft. Es gibt nach wie vor kein abgestimmtes, klares Ziel und keine konsequente industriepolitische Förderung im großen Stil“.
Paul L meint
Herr Philipp Seidel, Principal der Unternehmensberatung Arthur D. Little.
Sind Sie genauso auf Zack wie die Kollegen von PCW, welche die Studie für Northvolt erstellt haben?
Die Ergebnisse sind bekannt.
Gut, dass er nicht weiß, was ein bestimmter OEM in der Zellproduktion alles in Batteriearten in Köcher hat.
Er ist, glaube ich, nicht nah genug dran, um das bei allen OEMs beurteilen zu können. Er sollte sich mal vor Ort umschauen.
Ein Teil der LFP Rohstoffe kommt z.B. aus Marokko. Dort wird gerade die Produktion gestartet.
Somit sollte die erste LFP-Zellproduktion-Linie ab 2026 in Betrieb gehen.
@Future: min. 80 % der Zellkosten sind die Rohstoffe. Wie soll die Zelle in der EU 50 % mehr kosten?
Zölle 7 % würden hier locker ausreichen, um eventuell Mehrkosten in Europa auszugleichen.
Ja, ich wäre dafür, weil alles, was mit Energie zu tun hat, muss zum größten Teil hier produziert werden, systemrelevant ist!
Gernot meint
«Aus dem einfachen Grund, dass die Zellproduktion für die Autohersteller, die hinter ihnen stehen, von großer strategischer Wichtigkeit ist.»
Dass die Zellproduktion von größter strategischer Wichtigkeit ist, war schon vor mehr als 5 Jahren absehbar. Und? Die Top-Manager der deutschen Autohersteller UND vor allem der deutschen Zulieferindustrie haben trotzdem wieder und wieder die Entscheidung dagegen getroffen. Warum? Weil das kurzfristig besser für die Rendite war. Ich habe nur noch begrenzt Hoffnung, dass die mal die richtigen Entscheidungen treffen.
«Die Kostenstruktur in Europa sei zu schlecht, um mit China mitzuhalten, weil „die Arbeitsbedingungen und die Energiesituation bei uns ganz anders sind als in China»
Ich kann das nicht mehr hören. Werden wir doch mal konkret: Ja, Strom ist bei uns deutlich teurer. Für eine moderne Batteriefertigung wird ein Energieaufwand von 20 kWh pro kWh produzierter Batteriekapazität veranschlagt. Wenn die kWh Strom hier 8 Cent mehr kostet als in China, dann ist die kWh Batterie dadurch 1,60 Euro teurer.
Northvolt in Heide wollte mit 3000 Mitarbeitern 60 GWh Zellen pro Jahr produzieren. Wenn ein Mitarbeiter im Durchschnitt mit Lohnnebenkosten 60.000 Euro im Jahr an Kosten verursacht, dann ergeben sich 3 Euro Arbeitskosten pro kWh Batterie. Wenn die Arbeitskosten in China bei einem Drittel liegen, dann machen diese beiden Punkte 3,60 Euro/kWh Mehrkosten bei Produktion in Deutschland aus. Statt meinetwegen 46 Euro/kWh in China wären es dann 49,60 Euro/kWh hierzulande. Es entfallen aber 2,7% Zoll auf Zellen (1,24 Euro/kWh in dem Beispiel). Es entfallen die Transportkosten. Es entfallen zukünftig CBAM-Zahlungen. Es entfallen strategische Risiken (z.B. Suezkanal dicht, 3 Wochen Produktionsausfall). Dann können Arbeits- und Stromkosten am Ende nicht der Grund sein.
Dieseldieter meint
Selbst in China kommen E-Autos doch gerade richtig ins Stocken. Die deutschen Manager hatten den Weitblick, nicht auf den politisch gemachten Hype aufzuspringen. Sonst würde man jetzt ebenfalls mit riesigen Überkapazitäten kämpfen. Siehe China.
Mäx meint
Wo kommen denn die E-Autos ins Stocken?
Mai Wachstum war über 40% YoY.
Vielleicht ist es eher viel mehr so, dass es so viel Wettbewerb gibt, dass einzelne Hersteller mit Überkapazitäten zu kämpfen haben?
Gernot meint
Das ist schlicht gelogen. In China und weltweit wächst der BEV-Absatz.
In China lag der BEV-Absatz im May 23% über dem Vorjahreswert Und ich meine wirklich reine BEV, während viele „Elektroauto“-Statistiken für China die dortigen NEV-Zahlen übernehmen, die Hybride beinhalten.
Auch in Deutschland wächst der BEV in diesem Jahr um mehr als 40% gegenüber dem Vorjahr. Wir liegen allerdings noch etwas unter den Werten aus Zeiten, in denen es die Kaufprämie gab. Spätestens nächstes Jahr werden wir auch in absoluten Zahlen neue Rekorde bei BEV-Zulassungen auch in Deutschland sehen.
Und was schreibst Du hier eigentlich? Dieseldieter ist doch eigentlich Elektroautofan. Siehe dieseldieter [.] com
Dieseldieter meint
Keine Ahnung wer das ist, der zieht sich an meiner Beliebtheit hoch. Habe auch keine Lust Fakten zu checken, ich poste einfach.
Thomas meint
„Habe auch keine Lust Fakten zu checken, ich poste einfach.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
MrBlueEyes meint
Pflichte ich bei… auf Ins.id.eEVs war jetzt erst ein schöner Artikel, warum die BEV in(!) China so günstig sind:
– KEINE Mehrwertsteuer dort in China für BEVs
– Brutaler Preiskampf, teils Abgabe nur zum Selbstkostenpreis, quasi
. Höhere Anforderungen an Crashnormen in der EU… deshalb müssen manche Modelle sogar länger ausfallen… oder zumindest nachgearbeitet werden…
– teils minderwertigere/andere Materialien in China
– Zölle(!) …ganz wichtiger Punkt
– Transportkosten
DESHALB wird es bei uns auch keine „Welle von billigen China-BEV“ geben… das sollte langsam jeder gemerkt haben…
Und genau deshalb sehe ich für die Chinesen hier bei uns auch nur die Rolle der Nischenhersteller… dafür ist die Europäische Autoindustrie zu stark und die Europäer kaufen wahrscheinlich auch lieber Europäisch… genauso wie die Chinesen es jetzt eben auch in China tun… und weil die Kisten dort natürlich auch so spottbillig sind…
Future meint
Ich glaube nicht, dass europäische Kunden für Zellen aus heimischer Produktion den doppelten Preis zahlen würden gegenüber den Zellen aus Asien. Hinzu kommt die technische Überlegenheit der Chinesen. Eine Zelle von PowerCo oder ACC würde ich schon deshalb nicht wollen. Wer chinesische Produkte aus moralischen Gründen ablehnt, kann sich ja für Zellen aus Südkorea oder Japan entscheiden.