Die Erträge der deutschen Autoindustrie haben alle Prognosen für das Jahr 2021 übertroffen. Doch der Warenkreditversicherer Atradius warnt vor zu großem Optimismus – wegen den Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs, aber auch wegen der Umstellung auf Elektromobilität.
„Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Insolvenzzahlen in der Branche noch in diesem Jahr um 20 Prozent ansteigen werden“, sagt Michael Karrenberg von Atradius. Die Erträge seien zwar deutlich gestiegen, doch der Absatz liege weiterhin unter dem Niveau von 2019, dem Jahr vor Beginn der Corona-Krise. „Der Krieg in der Ukraine und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland erhöhen aktuell den Druck auf die Branche, doch die Krise hatte sich schon seit vielen Jahren angebahnt“, so Karrenberg.
Die großen Autobauer hätten ihren Fokus zuletzt auf die Produktion von Autos mit hohen Margen gelegt. „Angesichts der Materialengpässe im vergangenen Jahr, haben sie das verfügbare Material in Autos aus dem hochpreisigen Segment investiert. Dadurch konnten sie den eigenen Produktionsrückgang zumindest auf der Ertragsebene ausgleichen“, erklärt Karrenberg. Hinzu komme, dass die Autohersteller aktuell kaum noch Rabatte im Verkauf geben würden, da die Nachfrage insbesondere das Angebot im Elektro-Segment deutlich übersteige. Durch den Verzicht auf Rabatte verbesserten die Unternehmen zusätzlich ihre Marge.
Unterm Strich würden weniger Autos verkauft, alein im April seien es rund 21 Prozent weniger registrierte Neuwagen in Deutschland als im Vorjahr gewesen. Leidtragende seien die Zulieferer, bei denen von den zusätzlichen Gewinnen der Autobauer nichts ankomme. Einerseits gebe es eine sinkende Nachfrage durch ihre Abnehmer, andererseits erzeugten Lieferengpässe und teilweise deutliche Preissteigerungen bei wichtigen Rohstoffen Druck. Dieser Druck werde derzeit durch den Krieg in der Ukraine und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zusätzlich erhöht, da die Versorgungssicherheit mit wichtigen Rohstoffen dauerhaft auf der Kippe stehe.
E-Mobilität setzt Firmen unter Druck
„In dieser Gemengelage ist es für die Zulieferer extrem schwierig, zu kalkulieren“, so Karrenberg. „Die steigenden Materialpreise und der geringe Output führen zu verringerter Liquidität der Firmen. Damit steigt auch das Zahlungsausfallrisiko.“ Der Krieg sei für die Branche jedoch nur ein zusätzlicher Faktor in einer sich schon seit längerer Zeit anbahnenden Krise. Viele Unternehmen würden seit der Corona-Pandemie unter Liquiditätsengpässen leiden, bei manchen habe der Trend schrumpfender Margen aber schon vor der Pandemie eingesetzt.
„Der Rückgang bei den Autoexporten zwischen den Jahren 2019 und 2021 ist vor allem auf eine sinkende Nachfrage bei Autos mit Verbrennungsmotor zurückzuführen“, erläutert Karrenberg. „Der Absatz von Elektro- und Hybridfahrzeugen nahm in dieser Zeit um 78 Prozent zu.“ Weite Teile der Autobranche hätten die Transformation zur Elektromobilität noch nicht oder stark verzögert vollzogen „Wo die bestehende Liquidität nicht genutzt wurde, um sich auf den Wandel der Branche einzustellen, hinterlassen die Auswirkungen der Coronapandemie und die Verlängerung der Wirtschaftskrise durch den Ukraine-Krieg besonders starke Blessuren“, schlussfolgert der Risiko-Experte.
Viele Firmen haben sich laut Atradius im Verlauf der Corona-Krise stark verschuldet. Mit den voraussichtlich steigenden Zinsen werde es für Unternehmen schwieriger, die laufende Belastung aus Zins und Tilgung zu bedienen. Zudem würden Banken in der aktuellen Situation bei der Neukreditvergabe noch genauer auf die Bonität schauen. Gleichzeitig fielen die Corona-Hilfen der letzten Jahre weg und die vorübergehend ausgesetzte Insolvenzantragspflicht sei ebenfalls wieder in Kraft.
Insolvenzen dürften zunehmen
„Unternehmen, die sich dank dieser Erleichterungen im vergangenen Jahr noch über Wasser halten konnten, werden nun vermehrt Insolvenz anmelden müssen“, sagt Karrenberg. Das gelte besonders für sogenannte „Zombie-Firmen“, also Unternehmen, die bereits vor der Krise Probleme hatten und die bislang nur dank der coronabedingten Sonderregelungen noch überlebt haben. Früher oder später werde es zu einer gewissen Marktbereinigung kommen. „Noch liegen die Insolvenzzahlen in der Automobilbranche um etwa 20 Prozent unter dem Wert aus der Zeit vor Corona. Es ist aber zu erwarten, dass sich die Zahlen mittelfristig deutlich nach oben korrigieren werden“, so Karrenberg.
Vorrangig von Insolvenzen betroffen sein werden nach Einschätzung der Risikoexperten von Atradius kleinere Zulieferer aus der zweiten oder dritten Reihe. Hier sieht man bereits jetzt eine negative Entwicklung. „Zwischen den Zulieferern der ersten Reihe, also den direkten Zulieferern, und den großen Autobauern besteht eine starke gegenseitige Abhängigkeit“, erklärt Karrenberg. „Den Autobauern ist viel daran gelegen, die Versorgung mit Autoteilen aufrechtzuerhalten. Es besteht durchaus die Bereitschaft, ihren Zulieferern bei bestehenden Verträgen entgegenzukommen.“
So gelänge es zumindest den großen Automobil-Zulieferern, auch in Krisenzeiten nicht in die Insolvenz zu rutschen. „Einen Automatismus, dass die großen Zulieferer ihre Preiserhöhungen bei den Autobauern durchsetzen können, wird es aber wohl kaum geben. Der Spielraum für Mehraufwendungen ist auch bei den Autobauern begrenzt. Die Regel lautet: Je wichtiger der Zulieferer, desto weniger wahrscheinlich die Insolvenz.“
Altun meint
Es ist erstaunlich dass selbst Insider noch nicht begriffen haben warum Tesla in diesem Segment
die Richtung vorgibt. Der unterschied liegt halt darin das unternehmen wie Apple oder Tesla eines gemeinsam haben nämlich die “ Think different “ Theorie nicht nur zu verstehen sondern auch anzuwenden. Nun versucht man nach zahlreichen Skandalen erst den Diesel dann den Benziner nach altem Ritual zu opfern. Solange die Bänder des Verbrenners noch laufen wird sich an der Tatsache des derzeitigen narrativ nichts ändern, weil der Schuster auch in Zukunft nur bei seinem Leisten bleibt.
Frank meint
Das größte Problem, die Energiewende zu wuppen ist: Es fehlen Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten. Wir brauchen Leute, die die PV Anlagen auf das Dach bauen und die Speicher in die Keller. Solarmodule müssen wieder in D gebaut werden (auch hier werden Giga-Factorys gebraucht) Die Windbranche muss wieder aufgebaut werden. Nachdem der Strombörsenpreis möglichst schnell zum Endkunden runter muss brauchen wir Menschen, die Smarte Zähler einbauen und die Wallboxen mit denen der fast kostenlose Überschussstrom aus den Starkwindzeiten (wo Wind abgeregelt wird) geladen werden kann.
Zum Glück werden bald ein paar Arbeitskräfte (aus der Zulieferindustrie) frei.
Ein Paar der Zulieferer mit intelligenten Chefs steigen sicher selbst in den Markt ein.
Bosch könnte mit dem eigenen know how problemlos solare Home-Wasserstoffspeicher mit Elektrolyse und Brennstoffzelle bauen (siehe Picea von hps)
BEV meint
Dafür gibt’s dann andere Zulieferer, die wichtiger werden.
Niemand erwartet, dass der Kolbenbauer plötzlich Halbleiter produzieren kann.
Der Kolbenbauer kann auch keine Software.
Der Kutschenbauer baut auch keine Autos.
Und man muss mal in Deutschland von dem Gedanken wegkommen, dass man bis zur Rente beim selben Arbeitgeber bleiben kann. Der Arbeitsschutz ist zwar gut, aber er bringt uns nicht weiter.
Blöd ist halt nur, dass man nicht schon Lange darauf gesetzt hat auch Kompetenzen im Land aufzubauen. Es muss mehr im Bereich Elektrotechnik, Informatik, Chemie usw. geben, gefühlt ist immer noch ein sehr starker Fokus auf Maschinenbau/Fahrzeugbau, aber gleichzeitig sieht man hier nicht mehr die großen Fortschritte. Ob man das überhaupt jemals aufholen kann oder ob das weiterhin in US und Asien bleibt, wird die Zeit zeigen.
David meint
Jetzt sind also die Autohersteller schuld. War es nicht vielmehr so, dass sehr viele Fehlteile von Zulieferern stammten?
Zudem hat man dort sehr lange nicht gemerkt, was denn tatsächlich gespielt wird. Wenn ich mir nur die Statements von Bosch anschaue, war bis vor einem Jahr noch das Verbrennerlied gesungen wurde. Dabei hätten sie nur einen Blick in ihre kleine E-Bike Abteilung werfen müssen, dort ist man Marktführer bei elektrischen Antrieben.
Aber beim Auto hat man die Entwicklung z.B. moderner Elektromotoren den Herstellern überlassen, die sich dann neue Partner in Startups suchen mussten. Reluktanz- und Axialmotoren werden den Markt erobern. Betriebspunkt und Drehmoment werden variabel, aber eben ohne Bosch.
Soeri # CH meint
O dass ist wieder ein gejammer von den Zulieferern!!
Man kann es ja nicht mehr hören. Zuwenig Autos verkauft? Also die Zahlen der Autohersteller sagen etwas anderes. Die Umstellung auf E Mobilität ist schon lange absehbar gewesen!!!
Ein Glück , weg von den Ölautos.
Also bitte nicht jammern!!!
MichaelEV meint
Wo sagen die Zahlen etwas anderes? Es wurden viel weniger Autos mit viel mehr Marge verkauft. Die Marge bleibt beim Autohersteller hängen. Die ausgequetschten Zulieferer sehen davon wahrscheinlich keinen Cent, die fehlenden Mengen machen das Geschäft defizitär. Das Thema Lieferketten wird die nächsten Jahre eher noch spannender, wenn nach und nach Zulieferer ausfallen. Vor allem der Ausfall von Zulieferern mit starkem Verbrenner-Bezug kann die Transformation nochmal ordentlich beschleunigen.
Beim Thema Chipmangel waren die Autohersteller mit für die Probleme verantwortlich und auch hier gräbt man ordentlich mit am eigenen Grab, weil man die Zulieferer nicht unterstützt.
Pferd_Dampf_Explosion_E meint
Der Zulieferer hat seine Schuldigkeit getan, der Zulieferer kann gehen.“ Frei nach Friedrich Schiller.
MichaelEV meint
Das könnte die Sichtweise sein. Aber wenn die Zulieferer zu früh gehen, dann gehen Autohersteller mit (unter).
Soeri # CH meint
Trotzdem haben die Zulieferer die E Mobilität verschlafen!
Wie oft in der Wirtschaft, hofft man es geht immer soweiter, wie bisher und dann kommt dass grosse Erwachen.
Es ist sehr gut dass die Abhänigkeit vom Öl extrem reduziert wird! Ich freue mich jeden Tag aufs Neue , wenn ich meinen E tron mit meinem selbstgewonnen Strom vom Hausdach laden kann. Dass ist Zukunft und Fortschritt für mich.
Andi EE meint
Der Zulieferer kann erst produzieren wenn er Aufträge erhält. Klar sollte er in Forschung und Entwicklung investieren, aber wenn die Kunden, insbesondere die Deutsche Automobilindustrie über Jahrzehnte so verwirrende Signale aussendet, hat man keinerlei Planungssicherheit und schon gar keine Abnahmegarantien für das was allenfalls in der Zukunft kommen könnte.
Ich denke es ist sogar der Regelfall, das der Zulieferer bei solchen Umbrüchen schlechter aussieht, weil er einfach im Nachteil ist. Er bestimmt ja nicht die Richtung von seinen Stammkunden. Und dort liegt auch die Falle in diesem System, der Zulieferer darf seine R&D nicht auf seine Kunden abstimmen.
150kW meint
„O dass ist wieder ein gejammer von den Zulieferern!!“
Ich sehe in obigen Text keine einzige Aussage eines Zulieferers, geschweige denn ein jammern.