In der Europäischen Union wird über ein Verbot von Per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) diskutiert, die wegen ihrer Langlebigkeit auch Ewigkeits-Chemikalien genannt werden. Sollte dieses kommen, werden laut deutschen Industrieverbänden die EU-Klimaziele gefährdet.
Kein Windrad, kein E-Auto, kein Energiespeicher, keine Halbleiter – ohne PFAS-Chemikalien ließen sich die Schlüsseltechnologien der Transformation zur Klimaneutralität nicht produzieren und damit die Energie- und Mobilitätswende nicht umsetzen, warnen der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) in einer gemeinsamen Mitteilung.
Die Industrieverbände plädieren für eine differenzierte Betrachtung der Gruppe mit über 10.000 Stoffen. Sie fordern: Die Stoffe, für die es aktuell noch keinen Ersatz gibt und solche, von denen kein Risiko für Mensch und Umwelt ausgeht, sollen der Industrie weiterhin zur Verfügung stehen. Es dürfe nicht zu unverhältnismäßigen Verboten kommen. PFAS, von denen Risiken für Mensch und Umwelt ausgehen, sollten demgegenüber kontinuierlich substituiert werden, wie es bereits heute gängige Praxis ist.
Für die von den Verbänden vertretenen Branchen seien viele PFAS aus der Stoffgruppe aktuell unverzichtbar, heißt es in der Mitteilung. Die Stoffe würden umfassend in Querschnittstechnologien, beispielsweise als Dichtungen und Kabel, verbaut und in allen relevanten Schlüsseltechnologien eingesetzt, die maßgeblich über den Erfolg des „Green Deal“ mitentscheiden. Auch Lithium-Ionen-Batterien oder Wasserstofftechnologien seien dringend auf PFAS angewiesen.
„Die Elektromobilität ist die zentrale Technologie auf dem Weg zur klimaneutralen Mobilität der Zukunft und zentraler Teil des European Green Deals der EU. Dabei ist klar: Um das Ziel klimaneutraler Mobilität erreichen zu können, ist und bleibt der Einsatz von PFAS unverzichtbar. Ohne sie sind heute weder die bestehenden Fahrzeuge noch zukünftige Fahrzeugtechnologien denkbar – das geplante pauschale PFAS-Verbot droht, zum Klimaschutz-Boomerang zu werden“, sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller.
„Mit einer differenzierten Betrachtung dieser riesigen Stoffgruppe hingegen lassen sich Klima-, Umwelt und Gesundheitsschutz zusammenführen. Sicher ist: Die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie nehmen den verantwortungsvollen Umgang mit PFAS ernst und werden dies selbstverständlich auch in Zukunft tun“, so Müller.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Bessere Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber keine Überregulierung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und Technologieentwicklung hemmt.“ Konkret heiße das: „Da, wo diese Chemikalien nicht sicher für Mensch und Umwelt verwendet werden und gut durch andere Stoffe ersetzt werden können, sollten wir den schnellen Ausstieg befördern. Das gilt vor allem da, wo sie verbrauchernah eingesetzt werden.“ Zugleich dürfe aber nicht die Erneuerung der Industrie gefährdet werden, warnte der Grünen-Politiker.
Stefan meint
Ein PFAS-Verbot gefährdet nur dann die Klimaziele, wenn die Industrie weiter teurere Alternativen verweigert. PFAS gefährden aber schon immer die Gesundheit. Die Industrie hat PFAS leider nicht verantwortungsvoll eingesetzt, sondern global als bequeme und billige Lösung die Abhängigkeiten geschaffen. Auf Basis „verantwortungvoller Selbstregulierung“ sind wir mit PFAS genau dorthin gekommen, wo wir jetzt sind. Ohne staatliche Regulierung passiert nichts – wie bei Asbest, DDT, FCKW, Dioxin, Titandioxid, Formaldehyd, PCB, Lindan, Blei …
Meinen ersten Kommentar mit dieser Sichtweise hat ecomento leider zensiert. Ich hoffe das ist nun ecomento-konform.
stefan meint
Frau Müller vom VDA sagt“ …nehmen den verantwortungsvollen Umgang mit PFAS ernst und werden dies selbstverständlich auch in Zukunft tun.“ Dann hätten wir doch gar keine Probleme mit PFAS! Deren Problematik ist eigentlich seit Jahren bekannt. PFAS sind aber billige Problemlöser in der technischen Entwicklung. Wenn wir sie nicht einsetzen, machen es die Chinesen, Amerikaner, Inder und alle anderen. Daher wurden und werden PFAS eingesetzt, wo immer es wirtschaftlich ist. Die Risiken wurden und werden kleingeredet – nun auch durch die Grünen und unseren Wirtschafts-Frontmann Harbeck.
Der Schutz von Natur und Umwelt und der Gesundheit der Menschen muss sich weiterhin den wirtschaftlichen Interessen unterordnen – bis internationale Gerichte zweifelsfrei ein Urteil zu jedem der über 10.000 PFAS-Stoffe fällen. Wir haben wirklich nichts dazu gelernt.
MrDidiB meint
Das Thema ist auch nicht wirklich neu und in den USA z.B. auch ein großes Problem. Hier sind auch umfassende Verbote ab 2030 geplant. Ich glaube aber, dass es dem VDA hier vermutlich eher darum geht, dass die Industrie, die vermutlich teureren Alternativen nicht einsetzen möchte. Dazu gibt es einen interessanten Artikel, der aber leider hinter einer Paywall liegt.
https://table.media/research/analyse/pfas-verbot-motor-fuer-innovationen/
Wikipedia ist auch immer lesenswert:
https://de.wikipedia.org/wiki/Per-_und_polyfluorierte_Alkylverbindungen
EVrules meint
Um es genauer zu beschreiben, bei Li-Ion Zellen dient PVDF zur Matrixstabilisierung/Bindmittel der Elektroden. PTFE Dichtelemente dienen in den schnelllaufenden e-Motoren dazu, Wellen für deren Schmiermittel abzudichten.
Aus der Industrie kann man nur darauf hoffen, dass hier wirklich mit Augenmaß und Sachverstand in der Regulierung vorgegangen wird.
EselAusWesel meint
“ Sie fordern: Die Stoffe, für die es aktuell noch keinen Ersatz gibt und solche, von denen kein Risiko für Mensch und Umwelt ausgeht, sollen der Industrie weiterhin zur Verfügung stehen“
Was für Anreize hätte denn dann die Industrie Ersatz zu suchen? Entweder durch Verbote, die ab Jahr x greifen. Oder durch Internalisierung der Folgeschäden für die Umwelt, also Bepreisung der Nutzung.
Steffen meint
Ist wie bei CO2 oder dem Verbrennerverbot. Man muss es verbieten zum Tag X, sonst passiert leider nichts.
EVrules meint
Es sind aber eher nicht die Industrieprodukte die durch ihre langkettigen Aufbau für die „Schäden“ sorgt, sondern die Verbraucherprodukte, welche über kurzkettingen Aufbau verfügen, wie Kleindungsbeschichtungen und der gleichen.
Das macht einen bedeutenden Unterschied, ob wir über etwas „Komfort“ sprechen oder über temperatur- und beständigkeitsverhalten sprechen, die Technologien erst möglich machen.
Hans Meier meint
@EVrules
Es spielt im Prinzip keine Rolle, welche Produkte PFAS beinhalten… Produkte haben immer irgendwann ein Lebensende (und dann macht man mit den PFAS in den Produkten was? genau…) und Reifen wie Autositze haben Abrieb der in die Umwelt gelangt… das PFAS gelangt so oder so in die Umwelt. Weil es eine Ewigkeitschemikalie ist, ist es auch egal, welches Produkt wie viel PFAS in die Umwelt absondert, weil sie da eben ewig bleiben und kontaminieren.
Man muss von PFAS so schnell wie möglich wegkommen und da helfen, wie wir in der Vergangenheit jetzt zur Genüge gesehen haben nur Gesetzte mit einem klaren Zeithorizont für die Industrie. Die Industrie reagiert nur mit Druck.
Die Industrie setzt Technologien ein die Probleme für alle Schaffen. Wenn man davon weiss, muss man das Problem lösen. Die Industrie soll aufhören zu drohen, es sind weder die Kunden, noch die Allgemeinheit, noch die Politiker schuld das die Industrie PFAS in Ihren Produkten verwendet. Sorry das Verhalten der Verbände oben im Text geht gar nicht.
Justin Case meint
Die Verbandsforderung „Die Stoffe, für die es aktuell noch keinen Ersatz gibt und solche, von denen kein Risiko für Mensch und Umwelt ausgeht, sollen der Industrie weiterhin zur Verfügung stehen.“ ist kaum realistisch, weil“kein Risiko für Mensch und Umwelt“ ist vorab in der Regel nicht vollständig abschätzbar.
Deshalb sollte es Ausnahmen nicht (nur) für bstimmte Stoffe, sondern auch für bestimmte Anwendungszwecke mit einem übergeordneten Interesse geben: Eine Pfanne oder Regenjacke mit PFAS ist total verzichtbar, weil es funktionierende Ersatzprodukte gibt.
Ich bin sicher, dass sich darüber der Großteil der Erzeugung einsparen lassen würde, was sicher nicht das Anliegen von Herstellerverbänden ist.
Daniel meint
Gegen diesen Mist von der EU hätte man schon viel früher ins Feld zeihen müssen. Aber z.B. unsere Umweltministerin steht ja zu der Entscheidung und die Wirtschaftsminister werden bei Umweltthemen nicht gefragt.
Die haben keine Ahnung was sie tun, gehen aber mit Volldampf voran.
Die Übergangsfristen reichen, damit die Industrie ihre Produktion aus Europa (insbesondere Deutschland) abziehen kann und in die USA und China verlagert. Die USA haben diese Stoffgruppe schon als sicherheitsrelevant eingestuft, was den Export erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht. Die Abhängigkeit von China wird steigen – wie war das mit desrisking?
Und, glauben die EU Politiker wirklich, dass die Produktion in China umweltschonender abläuft?
MrDidiB meint
Wenn Gesundheit keine Rolle spielt, braucht man sich darüber natürlich keine Gedanken machen. Zitat aus Wikipedia: „ Die jährlichen gesundheitsbezogenen Gesamtkosten im Zusammenhang mit der Exposition gegenüber PFAS wurden 2019 für die Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) auf mindestens 52 bis 84 Milliarden Euro,[4] für die Vereinigten Staaten im Jahr 2018 auf 6 bis 62 Milliarden USD geschätzt.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Per-_und_polyfluorierte_Alkylverbindungen
Draggy meint
Du meinst also, wenn China ein Verbrechen begeht müssen wir das auch machen? Logik der Geisteskranken.
Dazu ist dein Gedankengang falsch, wenn bei uns kein pfarts Dreck mehr drinnen sein darf, ändert das auch keine Produktion in China, du hast ja auch kein Asbest in chinesischen Autos, oder es wird Bleibenzin von China nach Deutschland exportiert.
Dazu Frage ich mich warum die Industrie insbesondere aus Deutschland abziehen sollte, als ob das dann in Frankreich nur halb gelten würde.
Da wird wieder das rechte „Deutschland deindustrialisieren“ Narrativ aufgegriffen um Emotionen in die Diskussion zu bringen.
OnlyAFoolUsesGoogleAndroid meint
„Da wird wieder das rechte „Deutschland deindustrialisieren“ Narrativ aufgegriffen“
Nur rechts? Warum so zurückhaltend? Da geht doch sicher noch mehr. Aber wer so alles rechts ist, ist schon echt erstaunlich:
„Yasmin Fahimi: DGB warnt vor Deindustrialisierung …“
„Palmer warnt vor Deindustrialisierung | Markus Lanz …“
„Die bayerische Wirtschaft befürchtet, dass sich die Deindustrialisierung …“
“ Ifo-Chef Fuest warnt vor Deindustrialisierung …“
„Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hat vor einer Abwanderung der Branche aus Deutschland gewarnt. “Wir beobachten eine schleichende Deindustrialisierung” …“
Draggy meint
Klar vertreten diese Leute gerne wirtschaftspolitisch Rechte Standpunkte, entweder weil sie dumm sind oder, viel wahrscheinlicher, weil sie dafür bezahlt werden.
Die selbe Leier seit mehr als 200 Jahren, „Wenn wir nicht die Löhne senken und den Konzernen erlauben ihren Müll in unserer Welt zu verbreiten, geht Deutschland unter“.
Bisher waren es dann aber doch immer dumme Manager und „Völkische“ Politiker, die dann das Land an die Wand gefahren haben.
OnlyAFoolUsesGoogleAndroid meint
„Klar vertreten diese Leute gerne wirtschaftspolitisch Rechte Standpunkte, entweder weil sie dumm sind oder, viel wahrscheinlicher, weil sie dafür bezahlt werden.“
Ab wann ist ein wirtschaftspolitischer Standpunkt rechts? Oder sind wirtschaftspolitische Standpunkte generell rechts? Mir ist dieses ständige Geschwurbel von „rechts“ und als generelles Totschlagargument, wenn einem etwas nicht passt einfach zu allgemein. Dieser inflationäre Gebrauch führt zu einer immer stärkeren Verharmlosung und macht „rechts“ salonfähig.
„Bisher waren es dann aber doch immer dumme Manager und „Völkische“ Politiker, die dann das Land an die Wand gefahren haben.“
Die DDR hatte völkische Politiker?