Die Unternehmensberatung AlixPartners hat mit der Studie „Global Automotive Outlook 2021“ den aktuellen Stand der globalen Automobilindustrie und die Herausforderungen der nächsten Jahre analysiert.
Nach dem Krisenjahr 2020 gehörten die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht mehr zu den Hauptsorgen der Automobilindustrie, so die Berater. Allerdings habe das letzte Jahr die Problematik funktionierender Lieferketten als wunden Punkt der Branche sichtbar gemacht. Die größte Herausforderung für die Unternehmen sei daher, durch sinnvolle Investitionen die eigene Wertschöpfungskette zu stärken und für kommende Krisen zu wappnen.
Für die notwendigen Investitionen gebe es in Europa finanziellen Spielraum – dank höherer Liquidität, niedriger Nettoverschuldung sowie zum Teil höheren Umsätzen und Rentabilität als vor Corona. So seien die Barreserven der Autohersteller und Zulieferer in Europa im Moment viermal höher als noch 2008. Zudem habe der Anstieg des durchschnittlichen Verkaufspreises je Neufahrzeug um 2000 US-Dollar (7 %) geholfen, den Volumenrückgang zu kompensieren. Auch der Return on Capital Employed (ROCE) verzeichne eine positive Tendenz: In Europa hätten Autohersteller und Zulieferer nach niedrigen Werten für 2020 (Hersteller: 4,2 %; Zulieferer: 4,5 %) Anfang 2021 einen deutlichen Anstieg vermerkt.
„Die Automobilbranche hat sich erstaunlich gut geschlagen“, sagt Jens Haas, Managing Director bei AlixPartners. „Obwohl es noch Jahre dauern wird, bis der Weltmarkt wieder bisherige Höchststände erreicht, sieht es danach aus, dass die Profitabilität der Branche bereits in diesem Jahr wieder das Vorkrisenniveau erreichen kann. Dazu beigetragen haben rigorose Kostenmaßnahmen, staatliche Unterstützungen, die Vermeidung von Rabattschlachten und die schnelle Erholung des chinesischen Marktes.“
Für die Autohersteller komme es jetzt darauf an, die Erholung zu nutzen, um vor allem ihre Lieferketten auf eine strukturell verbesserte Basis zu stellen, so Marcus Kleinfeld, Managing Director bei AlixPartners und Co-Autor der Studie. „Während die Branche die kurzfristigen Herausforderungen wie gewohnt gut meistert, wird sich noch erweisen, in welchem Maß die Industrie bereit ist, durch Strukturmaßnahmen – die in der Regel auch mit Zusatzkosten daherkommen – ihre Lieferketten langfristig für größere Volumenschwankungen stabil zu machen.“
Die guten aktuellen Finanzzahlen habe die Automobilindustrie auch den immensen staatlichen Konjunkturprogrammen der vergangenen Monate zu verdanken. Diese seien global siebenmal höher als 2009 gewesen (insgesamt 13,7 Bill. US-Dollar). In Europa (Deutschland, UK, Frankreich, Italien) habe sich die Höhe der finanziellen Hilfen insgesamt sogar fast auf das Zwanzigfache im Vergleich zur Finanzkrise belaufen (2020: 3,40 Bill. US-Dollar; 2009: 0,17 Bill. US-Dollar).
Lieferketten mit hoher Anfälligkeit
Die Lieferketten-Problematik als Hauptthema der Industrie kann laut AlixPartners auch der Wirtschaftsaufschwung der nächsten Monate nicht kaschieren. So hätten sich die Rohstoffkosten pro Fahrzeug seit 2020 auf ein Rekordhoch von über 3600 US-Dollar (+92 %) verdoppelt. Für 2021 wird eine leichte Entspannung erwartet, eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau sei aber noch nicht in Sicht. Grund sei unter anderem die mangelnde Verfügbarkeit fast aller wichtigen Rohstoffe.
Allein die Knappheit von Computerchips werde weltweit zu einem Produktionsausfall von bis zu vier Millionen Fahrzeugen führen. Die Chip-Hersteller kämen der steigenden Nachfrage nicht nur in der Automobilindustrie kaum nach. Aktuell würden Bestellungen von Ende 2020 erst im September 2021 bedient. Dies führe vermehrt zu Produktionsstopps in Automobilfabriken weltweit. Mit einer Entspannung der Situation sei erst 2022 zu rechnen.
„Die Automobilindustrie sieht sich mit einer Negativspirale konfrontiert, die es zu durchbrechen gilt. Einzelereignisse wie die Havarie der Ever Given oder der Brand in der japanischen Chipfabrik im März haben das Problem jedoch nicht verursacht, sondern nur weiter verstärkt“, erklärt Kleinfeld. „In der Industrie 4.0 lösen Elektrochips nach und nach Öl als Motor fast jeder Wirtschaftsbranche ab – und ein Autobauer, der in den kommenden Jahren weniger Chips benötigt, ist längst nicht mehr denkbar.“
E-Autos & Batterieproduktion auf dem Vormarsch
In der Lieferkette der Autobauer besteht nicht nur aufgrund des Rohstoffmangels, sondern in erster Linie durch die Umstellung auf neue Technologien Anpassungsbedarf. Der E-Auto-Anteil inklusive Plug-in-Hybride am Gesamtmarkt wird laut AlixPartners bis 2030 global voraussichtlich 28 Prozent und in Europa sogar mehr als ein Drittel (42 %) betragen. Allein in Europa habe sich der Verkauf von Elektrofahrzeugen seit 2019 fast verdreifacht. Auch die Regierungen unterstützten diese Umstellung flächendeckend. So würden 14 EU-Länder und China bis spätestens 2035 den Verkauf von Verbrennern verbieten.
Die Analyse ergab zudem, dass die Investitionen in Elektromobilität bis 2025 weitaus stärker steigen als noch im letzten Jahr erwartet (weltweit: +41 %; Europa: +52 %). Allerdings bestehe weiterhin ein Kostennachteil von Elektroautos gegenüber den klassischen Verbrennern von bis zu 11.000 US-Dollar, der langsamer zurückgehe als zuvor erwartet. „Um das angestrebte schnelle Absatzwachstum von Elektrofahrzeugen zu ermöglichen, sind staatliche Anreize auf jeden Fall weiterhin erforderlich. Die Ziele können nicht allein durch Käufer erreicht werden, die vom Wandel zur Elektromobilität überzeugt sind und sich diesen dazu auch noch leisten können.“ sagt Haas.
Ein wichtiger Teil der Lieferkette, der auch für die höheren Kosten bei Elektroautos verantwortlich ist, betrifft die Batterieproduktion. China gilt hier weiterhin als Vorreiter und wird AlixPartners zufolge bis 2025 seine Produktionskapazität auf 750 GWh ausbauen. Europa holt weiter auf und wird im selben Zeitraum seine Kapazitäten auf 369 GWh verdreizehnfachen. Bereits im nächsten Jahr sollen hier genug Batterien für den eigenen Markt produziert werden. Fast die Hälfte (44 %) der europäischen Produktion werde in Deutschland angesiedelt sein. Der weltweite Ausbau führt der Studie zufolge dazu, dass die Kosten pro Batteriepack bis 2026 auf 100 US-Dollar/kWh sinken werden – 2016 habe der Preis noch 350 US-Dollar/kWh betragen.
Eigenproduktion wichtiger E-Komponenten
Die rückläufigen Volumina an Verbrennern erforderten bis 2027 die Umwandlung von mehr als 100 Werken weltweit, davon 40 Prozent der derzeitigen EMEA-Werke, so AlixPartners. Im Zuge der Entwicklung neuer Strukturen sei es für auf Verbrenner spezialisierte Zulieferer problematisch, dass Autohersteller mittlerweile Teile der Lieferkette selbst übernehmen und ihnen so Ausgleichsmöglichkeiten nehmen. Bei Elektro-Antrieben beispielsweise werde weltweit bis 2025 bereits ein erheblicher Anteil der Wertschöpfung (50 %) von den Herstellern selbst oder in Gemeinschaftsunternehmen produziert. Besonders groß sei das Engagement der meisten Hersteller in der Batterie-Wertschöpfungskette.
„Der Druck auf Zulieferer, die vom Verbrennungsmotor abhängen, erhöht sich weiter und wird zwangsläufig zu Restrukturierungen und Konsolidierung führen müssen“, so Haas. „Der Elektroantrieb besteht ohnehin schon aus weit weniger Komponenten als der Verbrenner und die Batterie als wichtigste Komponente spielt für diese Zulieferer keine Rolle. Wenn die Hersteller nun auch noch mehr Wertschöpfung bei den anderen Komponenten integrieren, wird der langfristig verbleibende ‚Kuchen‘ immer kleiner. Zumal auch Zulieferer aus anderen Segmenten, insbesondere der Fahrzeugelektronik, in diesen Markt drängen.“
Der Trend zur Zusammenarbeit von Autoherstellern setzt sich laut der Analyse in diesem Jahr weiter fort. Demnach steigt etwa die Zahl an CASE-Partnerschaften (Connected, Autonomous, Shared, Electric) um 27 Prozent. Im Bereich Elektrifizierung beträgt das Wachstum bei den Kooperationen 38 Prozent. In naher Zukunft soll diese Entwicklung ebenso die wichtiger werdende Softwareentwicklung betreffen. So benötigen Fahrzeuge laut AlixPartners heute bis zu 200 Millionen Codezeilen, dreimal so viel wie noch 2005. Hersteller würden bereits jetzt damit kämpfen, rechtzeitig bis zur Einführung autonomer Systeme nicht nur bei Komponenten, sondern auch bei der Entwicklung von Software genug Erfahrung zu sammeln. Der Kampf um Talente für das Fahrzeug der Zukunft werde sich weiter verschärfen, da nicht mehr nur die großen Tech-Unternehmen wie Google oder Facebook auf Softwareentwickler angewiesen seien, sondern Autobauer mehr und mehr Ingenieure dieses Fachbereichs benötigten.
Marcus Kleinfeld abschließend: „Die Automobilbranche ist gut durch die Corona-Krise gekommen. Massive Strukturumbrüche in der Autobranche stehen wieder im Mittelpunkt: Technologiewandel zum E-Fahrzeug, massiver Kapitalbedarf für PHEV/BEV (Plug-in-Hybride/Batterie-Autos, d. Red.) Entwicklung, Produktion und Infrastruktur, Kosteninflation bei Rohmaterialien, Arbeitskraft und Fracht, Software als Differenzierungsfaktor und so weiter. Die kurzfristige Erholung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Branche mittelfristig hohe finanzielle Bürden und strukturelle Änderungen bevorstehen. Die Neugestaltung der Automobilindustrie hat das Planungsstadium endgültig verlassen.“
Flo meint
Der wichtigste Satz ist der vorletzte: „Die kurzfristige Erholung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Branche mittelfristig hohe finanzielle Bürden und strukturelle Änderungen bevorstehen“.
Peter W. meint
Deshalb wird es auch Zeit, das Ende des Verbrenners einzuleiten, und der Industrie klar zu signalisieren wohin die Reise geht.
Sebastian meint
bis auf paar Leute im Internet die nahezu jeden Tag meckern, haben das alle Firmen verstanden und setzen das auch so um. Nur gehen solche Dinge nicht overnight oder durch einfaches in die Hände klatschen, wie die genannten Personen das glauben möchten.
Alupo meint
„China gilt hier weiterhin als Vorreiter und wird AlixPartners zufolge bis 2025 seine Produktionskapazität auf 750 GWh ausbauen. Europa holt weiter auf und wird im selben Zeitraum seine Kapazitäten auf 369 GWh verdreizehnfachen.“
Die 369 GWh hören sich aufs erste gar nicht mal so schlecht an, zumindest wenn man die Zahl auf „pro Kopf“ umrechnet.
Aber wieviel von den 369 GWh gehören davon wiederum den Chinesen? Und wieviel davon gehört den anderen Asiaten? Daran erkennt man erst die europäische Abhängigkeit.
Ja, auch Panasonic hat sich die Krone von den Chinesen wegnehmen lassen, aber das wundert mich jetzt weniger. Bei den Südkoreanern wundert es mich schon mehr.
Wenn man nur die in europäischem Eigentum befindlichen GWh betrachten würde, dann müsste man auch noch die Amerikaner abziehen. Was dann wohl für eine Zahl noch übrig bleibt zeigt das Problem das wir in Europa haben deutlich. Dabei waren wir doch generell global führend in Chemie, Maschinenbau und Fertigung. Aber dieses zukunftsträchtige Gebiet „Stromspeicherung“ haben wir fahrlässig ignoriert. Dabei ist der Speicherbedarf in der Energiewirtschaft im Vergleich zur Automobilindustrie noch deutlich größer. Das ist wirklich schlimm.
Cristian meint
Man erhofft sich ja mit der von der Bundesregierung beschlossen Wasserstoff-Strategie wieder ganz vorne dabei zu sein, oder wie sagt man in Deutschland gerne „Weltmeister“ zu sein!!
H2O für den Aufbau einer „Kreislauf“-Wirtschaft und in Teilen der Mobilität kein Thema.
Deutschland ist ein Hidden Champion, dass reicht aber schon lange nicht mehr um im digitalen Zeitalter gesehen zu werden und zu bestehen.