Stuttgart hat ein Problem: Dreckige Luft. Verursacht durch viel Autoverkehr und die ungünstige Kessellage. Oberbürgermeister Fritz Kuhn hat im vergangen Monat die Stadträte über den aktuellen Stand der Maßnahmen zur Luftreinhaltung informiert. Der OB sagte im Ausschuss für Umwelt und Technik: „Als ich 2013 ins Amt kam, war offensichtlich, dass Stuttgart bei den Themen Luftreinhaltung, Stau und Lärmschutz ein ernstzunehmendes Problem hat. Man hat jahrzehntelang versucht, im Sinne der autogerechten Stadt möglichst viele Autos durch das Nadelöhr Stuttgart zu bringen.“
Diese Auffassung habe sich nicht nur in Stuttgart grundlegend geändert, so der OB. Der Vergleich zu vielen anderen europäischen Städten zeige, dass die Lebensqualität zunimmt, wenn der Autoverkehr reduziert und der öffentliche Nahverkehr, der Fahrrad- und Fußgängerverkehr ausgebaut werden. Es bestehe „großer Handlungsbedarf“, so der OB: „Mein Ziel ist, wie schon im Aktionsplan ‚Nachhaltig mobil‘ vorgegeben, dass wir 20 Prozent weniger konventionell betriebenen Autoverkehr in der Stadt haben. Nur so können wir uns von der autogerechten, zur umweltgerechten Stadt wandeln.“
Kuhn verwies im Ausschuss auf die Maßnahmen, die in den vergangenen Jahren bereits zu einer deutlichen Verbesserung bei der Belastung durch Luftschadstoffe wie Feinstaub und Stickstoffdioxid geführt haben. Dazu gehören die Einführung des Jobtickets, der kontinuierliche Ausbau des ÖPNV, die Förderung der Elektromobilität, Tempo 40 auf Steigungsstrecken, mehr Grün in der Stadt und Projekte zur City Logistik. Das größte Problem sei weiterhin das Neckartor. Deshalb sei es wichtig, auch kurzfristige und gezielte Instrumente wie den Feinstaubalarm einzusetzen.
Kapazitäten im ÖPNV werden weiter erhöht
Zum Start der neuen Feinstaubalarm-Saison am 15. Oktober werde es einen „Feinstaubalarm Plus“ geben, so Kuhn. Dieser beinhaltet verschiedene Neuerungen: So wird es an Alarm-Tagen künftig ein Feinstaub-Ticket geben, mit dem Erwachsene mit einem VVS-EinzelTicket zum Kinderpreis fahren können. Zudem werden die Kapazitäten im ÖPNV weiter erhöht, indem Takte auf bestimmten Linien der U-Bahn verkürzt und Passagierkapazitäten auf bestimmten S-Bahn-Linien erhöht werden.
„Auch in der neuen Feinstaubalarm-Saison setzen wir auf die Freiwilligkeit der Bevölkerung. Denn ich glaube daran, dass es besser ist auf Freiwilligkeit als auf Verbote zu setzen“, sagte der OB. Allerdings könne man beim Thema Luftreinhaltung nur Erfolge erzielen, wenn alle mitmachen: „Ich appelliere deshalb an die Wirtschaft, die Unternehmen, den Handel, die Fraktionen und an die Bürgerinnen und Bürger: Nur wenn wir alle gemeinsam diese Anstrengungen unternehmen, haben wir eine Chance, es ohne Verbote zu schaffen.“
Noch keine Rechtssicherheit bei Verkehrsbeschränkungen
Noch könne, so der OB, nicht gesagt werden, wie verkehrsbeschränkende Maßnahmen aussehen könnten. „Das Land prüft aktuell verschiedene Maßnahmen und wird diese – in Absprache mit der Stadt – wenn nötig entsprechend verordnen. Noch haben wir jedoch keine Rechtssicherheit bei diesem Thema“, sagte Kuhn.
Kuhn sagte, dass es „generell nicht sein kann, dass sich der Bund zusammen mit der Automobil-Lobby einen schlanken Fuß macht und die Verantwortung beim Thema Luftreinhaltung an die Kommunen schiebt. Wir werden vor allem das Stickstoffdioxid-Problem nur zusammen mit der Automobilindustrie erfolgreich bekämpfen können.“ Diese müsse vor allem das Thema Elektromobilität intensiver weiter vorantreiben. Zudem sei es wichtig, dass die Fahrzeuge nicht nur auf dem Teststand, sondern auch im tatsächlichen Betrieb die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte erreichen. „Deshalb muss der Bund hier klare Regeln festlegen.“
Wie wirksam ist eine Blaue Umweltzone?
Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) hat einen Blick in die Zukunft geworfen und untersuchen lassen, wie sich die Schadstoffbelastung in und um Stuttgart bis zum Jahr 2020 an den Hauptstraßen entwickeln wird und wie sich verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität auswirken könnten. Mithilfe von Verkehrsmodellen wurden für die Hauptverkehrsstraßen die Schadstoffkonzentrationen sowohl für das Jahr 2014 berechnet als auch die zu erwartenden Schadstoffkonzentrationen für das Jahr 2020 prognostiziert. Die Modelldaten zeigen, dass im Jahr 2014 Grenzwertüberschreitungen nicht nur am Neckartor auftraten, sondern an weiteren viel befahrenen Straßen in und um Stuttgart.
Entsprechend der Berechnungen wurden die Grenzwerte für Stickstoffdioxid im Jahr 2014 im Stadtgebiet Stuttgart an fast 100 Kilometern des Hauptverkehrsnetzes überschritten, im Ballungsraum Stuttgart sogar an rund 180 Kilometern. Von Überschreitungen der Grenzwerte beim Feinstaub waren mehr als acht Kilometer im Stadtgebiet Stuttgart betroffen, im Ballungsraum über elf Kilometer.
Für das Jahr 2020 wird prognostiziert, dass die Streckenabschnitte, bei denen der Grenzwert für Stickstoffdioxid überschritten wird, im Stadtgebiet Stuttgart von 100 auf rund elf Kilometer zurückgeht, im Ballungsraum von 180 auf rund 14 Kilometer. Bei dieser Modellrechnung wurden die bisher bereits ergriffenen Maßnahmen sowie die abnehmende Hintergrundbelastung berücksichtigt. In diesem Modell machen sich die Modernisierung der Fahrzeugflotte und die allgemein rückläufigen Schadstoffemissionen bemerkbar. Die Streckenabschnitte, bei denen die Feinstaubgrenzwerte überschritten werden, reduzieren sich im Stadtgebiet Stuttgart von über acht Kilometer auf weniger als drei Kilometer. Außerhalb des Stadtgebiets werden laut Prognosen keine Feinstaubgrenzwerte mehr überschritten.
Blaue Umweltzone halbiert die lokale verkehrliche Zusatzbelastung
Die Ergebnisse verdeutlichen jedoch, dass die Luftschadstoffgrenzwerte im Jahr 2020 an mehreren Streckenabschnitten nicht eingehalten werden können, wenn keine zusätzlichen Luftreinhaltemaßnahmen ergriffen werden. Deshalb hat das Verkehrsministerium die LUBW beauftragt, prüfen zu lassen, wie sich unterschiedliche verkehrliche Maßnahmen auf die von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Streckenlängen auswirken könnten.
Zu den untersuchten Maßnahmen gehören die Beschränkung der Umweltzone auf Dieselfahrzeuge der Euro-Normen 6 (Pkw) und VI (Lkw) sowie Ottomotoren ab Euro-Norm 3 sowie die Reduktion des Kfz-Verkehrs um 20 Prozent. Die Maßnahme „Blaue Umweltzone“ – sprich die viel diskutierte blaue Plakette – bewirke 2020 an der hoch belasteten Messstelle Am Neckartor eine Minderung des Jahresmittelwerts für Stickstoffdioxid von 17 Mikrogramm pro Kubikmeter gegenüber einer Belastung 2020, die sich ergäbe, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden würden. Für diesen Trend wurde die lokale verkehrliche Zusatzbelastung 2020 mit 35 Mikrogramm pro Kubikmeter berechnet, das heißt, dass die blaue Umweltzone lokal zu einer Halbierung der verkehrlichen Stickstoffdioxidbelastung führen würde.
Die Verminderung des Gesamtverkehrs um 20 Prozent führe für sich betrachtet zu einer lokalen Stickstoffdioxid-Abnahme von acht Mikrogramm pro Kubikmeter am Stuttgarter Neckartor. Die Wirkung beider Maßnahmen überlagern sich, so dass bei Betrachtung beider Maßnahmen 2020 die Stickstoffdioxid-Belastung am Neckartor um 21 Mikrogramm pro Kubikmeter abnehmen könnte.
Weitere Maßnahmen im Fokus
Das Verkehrsministerium hat in einer Simulation den Wirkungsgrad weiterer verschiedener Maßnahmen abgeschätzt, wie die Stuttgarter Zeitung berichtet. Demnach würde die Einführung einer blauen Plakette inklusive einer Umweltzone die Stickoxidbelastung der Luft um 40 Prozent mindern. Deutlich geringer ist der Untersuchung zufolge die Wirkung der Umstellung von Taxis, Paket- und Sozialdienstfahrzeugen und des städtischen Fuhrparks auf Elektroantrieb (zwei bis vier Prozent). Die staatliche Subventionierung und Kaufanreize für den privaten Kauf eines E-Autos (zum Beispiel der Erlass von Parkgebühren) macht der Studie zufolge sogar nur ein Prozent weniger Stickoxid pro Kubikmeter Luft aus.
Temporäre und lokale Verkehrsbeschränkungen etwa am Neckartor würden übers Jahr gerechnet den Ausstoß um fünf Prozent senken; eine City-Maut, für deren Einführung allerdings der Bund erst die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen müsste, brächte eine Reduzierung von sieben Prozent, die Einführung einer Nahverkehrsabgabe vier Prozent. Eine befristete Sperrung der City für Dieselfahrzeuge würde den Schadstoffausstoß um sechs Prozent senken. Das Fazit der Expertise lautet, dass nur eine Kombination der Maßnahmen erfolgversprechend sei.
Tim Dorsemagen meint
Was spricht gegen die Anhebung der Mineralölsteuer insbesondere für Dieselkraftstoff? Die Mehreinnahmen könnten dem Ausbau des ÖPNV dienen . Elektrische Linienbusse senken zusätzlich die Lärmbelastung. Kostenlose Tickets am Wochenende wären ein Anreiz das Auto stehen zu lassen. Auch wenn laut der Studie E- Taxen rechnerisch nur wenig zur Luftqualität bei tragen , so haben sie doch eine Vorbild Funktion und reduzieren den Lärm. Auch sollte man hier an die Gesundheit der Bus und Taxifahrer denken.