Bei Daimler stehen große Veränderungen an: Der Konzern teilt sich in eine Pkw- und eine Truck-Sparte auf und forciert den Umstieg auf Elektroantriebe. Im Interview mit der Automobilwoche hat Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht über seine Sicht der Dinge gesprochen.
„Die Elektrifizierung, die Digitalisierung, die Aufteilung des Unternehmens, der Wegfall vieler Funktionen auf der einen Seite, das Entstehen von neuen zum Beispiel im Software-Bereich – diese Dynamik bringt schon viele Leute an den Rand des Begreifbaren“, sagte Brecht. „Im Moment ist es, als hätten wir alle Jahreszeiten gleichzeitig.“ Bei den Führungskräften im Nutzfahrzeugbereich gebe es eine richtige Aufbruchsstimmung, bei den Mitarbeitern dagegen die eine oder andere Sorge hinsichtlich der Zukunft. Das liege auch an Sparprogrammen, die die Stimmung dämpften. Hinzu kämen die Probleme durch den branchenweiten Chipmangel.
Konzernchef Ola Källenius hat im Juli bekannt gegeben, Mercedes-Benz bis zum Ende des Jahrzehnts für eine vollelektrische Zukunft fit zu machen. Das stelle das Unternehmen insbesondere in den Antriebswerken vor zusätzliche Herausforderungen, erklärte Brecht. Man müsse deshalb dringend die Fertigungstiefe ins Visier nehmen: Es reiche nicht mehr, einen elektrischen Antriebsstrang ohne den Motor und Inverter zu machen. Da sei Tesla ein Vorbild, weil es fast alles selbst mache. „Warum sollen wir weiter Komponenten von der Stange kaufen, wenn wir uns dadurch differenzieren und Beschäftigungsprobleme lösen könnten“, so der Daimler-Betriebsratschef. Er sprach sich auch dafür aus, in den Bau von Ladesäulen einzusteigen und die dazugehörigen Serviceleistungen anzubieten bis hin zu Betriebshöfen. Daimler müsse das gesamte Ökosystem der Elektromobilität abdecken.
Bei Daimler sah es zwischenzeitlich so aus, als ob andere Autobauer schneller auf Stromantrieb umstellen – nun will das Unternehmen aber zu den Vorreitern bei Premium-Elektroautos gehören. Technologieoffenheit habe sich durch die Vorgaben der Europäischen Union ein Stück weit erledigt, sagte Brecht. „Die ganze Zeit hat man uns verprügelt, dass wir zu langsam sind. Das wollen wir uns nicht länger anhören. Insofern ist das der richtige Schritt.“ Daimler müsse aber auch noch über 2030 hinaus Verbrennerautos anbieten, wenn der Kunde das wolle. Es werde Märkte geben, die sich schneller entwickeln und langsamere Märkte, was auch eine Frage der Infrastruktur sei. Ohne eine flächendeckende Infrastruktur werde es keinen schnellen Hochlauf der E-Mobilität geben.
Brecht fordert mehr Förderung
Daimler will mit Partnern künftig auch im großen Stil Fabriken für Batteriezellen betreiben. Am günstigsten wäre es, wenn die neuen Werke in der Nähe eines Batteriemontagewerks stehen, weil es dann kaum Logistikkosten gebe, sagte Brecht. Grundsätzlich habe aber jeder Standort des Konzerns ein Recht auf Zukunftssicherung. In diesem Zusammenhang müsse das Beihilfe-System der EU dringend geändert werden. Es könne nicht sein, dass alle Gelder in strukturschwache Regionen in Europa fließen. In Polen und Ungarn sei die Arbeitslosigkeit längst nicht mehr höher als in Deutschland. „Wir brauchen auch Förderungen an Standorten, wo schon seit Jahren aus eigener Kraft in neue Technologien investiert wird“, forderte der Arbeitnehmervertreter. Sonst hätten klassische Automobilregionen wie Stuttgart auf Dauer keine Chance.
Daimler müsse eine eigene Zellchemie entwickeln, um einen Wettbewerbsvorteil zu haben, so Brecht. Deshalb sei es richtig, dass am Standort Untertürkheim ein Zell-Technikum und eine Prototypen-Fertigung entstehen. Dadurch bekomme das Unternehmen auch die nötige Prozesserfahrung, um die Produktion in einer zukünftigen eigenen Zellfabrik zu optimieren. Das Rennen um die beste Batteriezelle werde „noch lange andauern“.
Sebastian meint
Problem bei solchen Firmen ist, das dort zu viele Leute rein reden, die vom Thema null Ahnung haben. Daimler muss sich anders positionieren, mit richtigen Leute. Das die Autos bauen können spricht ja keiner ab, aber das ganze Gewusel drum herum. das ganze Gelabere von Betriebsräten, Vorständen die ganzen Sitzungen ohne Ergebnisse… die Suche nach Akkus…. mei o mei… das alles dauert typisch deutsch unendlich lange. Viel zu viele Abteilungen.
Daimler ist schon jetzt mit seinem BEV Modelle aufgestellt.. nur eine Frage: ich sehe kaum davon!!!
Wo sind die Horden EQV? das perfekte Fahrzeug, nur hab ich die letzten 12 Monate nur 3 gesehen. The pig, EQC in 2 Jahren ebenso nur 3x…
Andreas meint
Korrekt, hier gab es ein massives Zaudern, man hat alles aufgefahren, um zu verzögern oder aufzuhalten mit dem falschen Selbstverständnis, dass sie dadurch den technischen Wandel aufhalten können.
Bei so was sind Betriebsräte, alte Gründerfamilien und altes Management immer Spitze. Das Ergebnis ist auch immer das Gleiche. Der Staat muss auffangen und zuschießen, was er über Coronahilfen und Fördertöpfe schon längst macht.,
Sebastian meint
OT von einem Daimler Entwicklungschef: „wenn der Staat das E Auto möchte, soll er es auch bezahlen. Geht uns nix an!“
Da hat es mir die Sprache verschlagen. Richtig lustig wird es wenn man die Werkstatt Jogis befragt.
Harry meint
Ist auch richtig so. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung möchte keine Elektrofahrzeuge. Die werden uns vom Staat mehr oder weniger durch verschiedene Maßnahmen aufgezwungen.
Flo meint
„Daimler müsse eine eigene Zellchemie entwickeln, um einen Wettbewerbsvorteil zu haben, so Brecht.“, hört hört. Hat uns das Daimler Top Management nicht immer erzählt man werde Zellen nur über Partner beziehen? Jetzt haben Sie das verpennt bzw. die Nachfrage ist einfach zu hoch und müssen eben selbst Zell-Fabriken aufbauen. VW hat das Thema schon früher verstanden, BMW übt noch.
Andi EE meint
Ist das üblich, dass der Betriebsrat ansagt, was im Betrieb produziert werden soll? Das sind die Wünsche Brecht, aber was hat das für eine Relevanz? Hat sich so ein Betriebsrat nicht um die Belange der Produktion zu kümmern und nicht um die strategische Ausrichtung des Konzerns. Weiss gar nicht, ob es da ein Pendant zu in der Schweiz auch gibt? Wenn überhaupt, hat der nix zu sagen.
Ich find, man sich immer etwas wünschen, aber irgendwie verstehen diese Leute nicht, dass mit die grösste Herausforderung ist, dass man ein Produkt zu konkurrenzfähigen Preisen produzieren kann. Es tönt immer so, als könne man einfach beginnen und es wäre so einfach. Ist es überhaupt nicht, es ist eine gewaltige Herausforderung, eine Produktion so aufzugleisen, dass sie mit den bereits bestehenden Playern mithalten kann. Machen wir doch einfach ein bisschen Batterie, weil die Batterie dann nicht mehr weit transportiert werden muss. ????
Allstar meint
@Andi EE
Das ist nicht nur üblich, sondern sogar Gesetz: in einer AG muss der Aufsichtsrat zu 50% aus Arbeitnehmervertretern sein, meist ist der Betriebsratschef deshalb auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender.
Bei Porsche zb. war das Jahrzehnte so, auch VW. Hätte der VW Vorstand zb. nur schon 2010 auf Osterloh gehört, der forderte damals schon eigene Batteriefabriken und wurde ausgelacht.
Andreas meint
Waren es nicht die Betriebsräte, die immer geheult haben, dass Elektromobilität Arbeitsplätze „vernichten“ wird und deshalb haben sie jedes Scheinargument gegen Elektromobilität veröffentlicht, dass sie finden konnten.
Die Betriebsräte waren hier sicherlich kein Treiber bei der Innovation. Wäre auch das erste Mal. Ist imo eine der Gründe, wieso große Firmen in Deutschland so innovationsschwach sind.
Andi EE meint
@Allstar
OK, danke für die Info, habe ich nicht gewusst … ist bei uns nicht so geregelt. Was @Andreas schreibt, stimmt natürlich. Was hätte jemand der die Belegschaft vertritt, für ein Interesse grosse Innovation zu fordern? Das bedeutet oft eine Anpassung der Belegschaft, eine weitere Automation, nicht unbedingt die Dinge die man in der Position wünscht.
Auf der anderen Seite muss sich doch die Firma anpassen, wenn die Konkurrenz effizienter produziert. Eigentlich ist das ja schon ein Gedanke, der das Hinterherlaufen beinhaltet. Die Firma müsste ja beim effizienten Produzieren immer voraus gehen. Wie man die Produktion mit weniger Angestellten schaffen kann, gibt dem Konzern den Wettbewerbsvorteil. Wenn die Firma erfolgreicher ist, gibt es dann trotz mehr Automation, mehr Arbeitsplätze.
Wenn man sieht, wie das in Deutschland organisiert ist, ist es häufig so, dass sehr viel ausgelagert wird, weil die Regeln bezüglich der Belegschaft derart streng sind. Man hat quasi einen Block Auserwählte, der aber eigentlich nicht für die effiziente Produktion steht. Das sind dann eher die Zulieferer, die sich im Mittel deutlich mehr anstrengen müssen.
Daniel S meint
„Daimler müsse aber auch noch über 2030 hinaus Verbrennerautos anbieten, wenn der Kunde das wolle“
Seit wann tun Unternehmen das, was die Kunden wollen? Sobald sich die Produktion eines Produktes nicht mehr lohnt, muss dieses aus dem Angebot gekippt werden. Wenn also nur noch wenige Verbrennerautos nachgefragt werden, wird MB keine mehr anbieten können. Kunde hin oder her. Und das kann schneller als 2030 gehen. Jetzt noch gross in Verbrenner investieren ist riskant!
Pferd_Dampf_Explosion_E meint
Und den Gesetzgeber gibt es auch noch, zumal die Groko in ihren letzten Tagen doch noch lernt, das böse Wort „Klimaschutz“ auszusprechen.
Niklas meint
Welche geheimnisvolle Kraft entscheidet in deiner Vorstellung denn, ob sich ein Produkt noch lohnt, wenn nicht der Kunde?
Es werden keine Verbrennerfahrzeuge mehr nachgefragt, „Kunde hin oder her“?
Hä?
Sehr seltsamer Kommentar.
Gunnar meint
„Welche geheimnisvolle Kraft entscheidet in deiner Vorstellung denn, ob sich ein Produkt noch lohnt, wenn nicht der Kunde?“
Gesetze, strategische Neuausrichtung, Marge, technische Systemgrenzen. Wären nur vier geheimnisvolle Kräfte, gibt bestimmt noch mehr.
andi_nün meint
„Gesetze, strategische Neuausrichtung, Marge, technische Systemgrenzen. “
Völlig richtig und die meisten davon deuten auf eines hin, der reine Verbrenner ist beinahe tot bzw. wird das in 10 Jahren eine sehr sehr teure Sache in der Produktion sein. Die Skalierungseffekte fallen dann fast vollständig weg.
Freddy K meint
Daimler hat aber nicht nur Kunden in DE….
Wenn DE sagt 2035 nunmehr Verbrennerli ist das nich gar nicht tragisch. Wenn dann EU, USA und China…Dann schon eher….
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Harry meint
Das war schon immer so, dass man das produziert was sich der Kunde wünscht, sonst kauft den Plunder niemand. Glaubst du dass z.B. in Russland nach 2030 plötzlich alle E-Autos fahren ??? Ist trotzdem ein riesiger Markt. Und wenn Daimler keine Verbrenner mehr im Programm hat, dann kaufen die Menschen eben was anderes. So einfach ist das.
Björn Truis meint
So ist es.
Und auch in den USA und anderen Märkten werden ab 2030 nicht nur elektrische Neuwagen nachgefragt.
Ich muss bei der Verkaufskurve der Elektrischen mit Blick auf die Zukunft leider immer an die Verlaufskurve der Covid-Impfungen denken, so schade dies ist. Mal schauen, ob also nicht doch Toyota etwa „zuletzt lacht“. Ich bin mir nicht sicher.