Ist die deutsche Autoindustrie wirklich wichtiger als das Weltklima und der unnötige Verbrauch der endlichen Ressource Erdöl? Anlässlich der Eröffnung der IAA in Frankfurt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den deutschen Premiumherstellern erneut den Rücken gestärkt und sich gegen schärfere CO2-Grenzwerte für Neuwagen ausgesprochen: „Europa muss lernen, dass wir nicht ein isolierter Kontinent sind. Dafür müssen wir über unsere eigenen Grenzen hinausschauen“, sagte die CDU-Politikerin. „Wir dürfen unseren eigenen Herstellern nicht größere Lasten aufbürden als das andere Länder machen“.
Merkel bekräftigte, dass sie sich bei der EU für „vernünftige Vorgaben“ bei der CO2-Regulierung einsetzen werde und den bis 2020 geplanten durchschnittlichen CO2-Ausstoß auf 95 Gramm pro Kilometer nicht mittragen kann: „Die Bundesregierung tritt ein für eine vernünftige Balance zwischen ehrgeizigen Zielen einerseits und unternehmerischer Freiheit andererseits.“ Es entspreche nicht den Kundenwünschen, dass alle Hersteller nur noch sparsame Kleinwagen anbieten: „Zu Wachstum und Innovation gehören Autos aller Klassen.“
Zugleich allerdings betonte die Kanzlerin, dass sie weiterhin fest an einen Siegeszug von Elektroautos in Deutschland glaube: „Wir alle sind überzeugt, dass die Elektromobilität eine immer größere Rolle spielen wird. Das Ziel ist und bleibt, wir wollen bis 2020 eine Millionen Elektroautos auf die Straße bringen“, sagte Merkel.
Auch Wissmann bekräftigt seine Kritik
Auch die Autoindustrie prangerte erneut die von der EU geplanten strengen CO2-Vorgaben für das Jahr 2020 an. „Die Ingenieure mit ihrem technischen Know-how müssen Gehör finden bei Juristen und Bürokraten“, sagte der Präsident des Automobilverbands, Matthias Wissmann. Seiner Meinung nach tauge die Automobilindustrie nicht zum politischen Spielball. Bei der CO2-Regulierung gehe es nicht nur um Klimaschutz: „Es geht auch um eine grundsätzliche industriepolitische Weichenstellung, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas, um die gesunde Balance von Ökologie und Ökonomie.“
Vor allem deutsche Premiumhersteller mit ihren schweren Spritschluckern möchten von sogenannten Supercredits, Bonuspunkten für Elektro- und Hybridautos, profitieren können. Denn für Hersteller von Oberklasse- und Luxusautos ist es deutlich schwieriger, die strengen EU-Grenzwerte nur dank effizienter Motoren zu erreichen, als für Massenhersteller von kleineren Autos wie Peugeot oder Fiat. Auch IG Metall-Chef Berthold Huber unterstützt Wissmann in diesem Punkt: „Supercredits sind für unsere Premium-Industrie notwendig. Dort haben wir massiv Beschäftigung zu verlieren.“
Nicht nachvollziehbare Bedenken
Umweltschützer kritisieren die deutschen Blockadehaltung scharf. „Haarsträubend ist dabei, dass die Hersteller versuchen, mit Hilfe der E-Autos den Absatz der voluminösen Sprit schluckenden Geländewagen zu sichern“, kritisierte etwa der VCD.
Auch wir können die Bedenken deutscher Hersteller nur bedingt nachvollziehen: Die neue S-Klasse, immerhin mehr als zwei Tonnen schwer, kommt mit dem S 500 dank Plug-in-Hybrid auf einen Verbrauch von etwas mehr als drei Litern auf 100 km. Sogar ein schwerer SUV kann zum Spritsparer mit einem Verbrauch von unter vier Litern werden, wenn er wie das Conceptcar BMW X5 eDrive, den wir auf der IAA bestaunen durften, als Teilzeitstromer gebaut wird. Und dass eine Luxuskarosse sogar komplett emissionsfrei daherkommen kann, beweist Tesla mit dem Model S und ist damit in den USA so erfolgreich, dass die deutschen Premiumhersteller bei den Verkaufszahlen das Nachsehen haben.