Anja van Niersen ist CEO des Joint Ventures Milence, mit dem sich Daimler Truck, die zu Volkswagen gehörende Traton Group sowie die Volvo Group gemeinsam dem Aufbau und Betrieb von Hochleistungs-Ladestationen für E-Lkw in Europa widmen. In einem ausführlichen Interview mit dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sprach sie über die Herausforderungen der Ladeinfrastruktur.
Van Niersen erklärte, dass der Lkw-Verkehr in Europa einen erheblichen Anteil an den Treibhausgasemissionen hat und daher eine schnelle Dekarbonisierung erforderlich ist. In Bezug auf die Einführung von Elektro-Lkw beobachtet sie jedoch unterschiedliche Geschwindigkeiten und kulturelle Unterschiede in Europa. Einige Länder wie die Niederlande und Skandinavien sind bereits Vorreiter bei der Ladeinfrastruktur, während die Einführung in Deutschland etwas hinterherhinkt. Dennoch sieht sie in jüngsten politischen Maßnahmen, wie etwa der CO2-basierten Straßenmaut, eine zunehmende Beschleunigung des Übergangs.
Wirtschaftlichkeit zentrales Entscheidungskriterium
Die Logistikbranche sei von Natur aus innovativ, aber stark von finanziellen Erwägungen geprägt, so van Niersen weiter. Logistikunternehmen würden in Elektro-Lkw nur investieren, wenn diese wirtschaftlich sinnvoll sind. Zwar seien die Anschaffungskosten für Elektro-Lkw noch höher, jedoch seien deren Kilometerkosten, besonders im Fernverkehr, bereits heute niedriger, was sie langfristig zu einer wirtschaftlichen Option mache. Zudem hätten Elektro-Lkw eine höhere Lebensdauer und erforderten weniger Wartung.
Van Niersen erklärte, dass der größte Impuls zur Elektrifizierung von Lkw von Logistikunternehmen und Endkunden wie großen Einzelhändlern komme, die ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen möchten. Die Herausforderung für Hersteller liege darin, die Verfügbarkeit und Skalierbarkeit von Elektro-Lkw sicherzustellen. Sie unterstrich, dass die Verantwortung für die Transformation nicht nur bei den Herstellern liege, sondern auch Gewerkschaften, Verbände und staatliche Institutionen ihren Beitrag leisten müssten.
Trotz der vielversprechenden Prototypen chinesischer Hersteller sei die europäische Industrie nach wie vor führend. Van Niersen forderte jedoch eine Beschleunigung der Innovationen bei den europäischen Herstellern, um mit der schnelleren Entwicklung chinesischer Modelle Schritt zu halten. Dabei sei eine flexiblere Unternehmenskultur notwendig, um Innovationszyklen zu verkürzen und effizienter zu arbeiten.
Wasserstoff keine Lösung für Lkw-Verkehr
Wasserstoff sei ihrer Ansicht nach eine wichtige Technologie für die Schwerindustrie, aber für den Lkw-Verkehr aufgrund der hohen Kosten und begrenzten Effizienz im Vergleich zu batteriebetriebenen Fahrzeugen nicht geeignet. In Europa müsse eine klare politische Entscheidung getroffen werden, um den Übergang zu nachhaltigeren Transportlösungen zu beschleunigen und Verunsicherungen im Markt zu vermeiden.
Zur Reichweite von Elektro-Lkw erklärte van Niersen, dass diese aktuell mit einer Batterieladung etwa 400 bis 500 Kilometer zurücklegen könnten, mit untertägiger Aufladung sogar bis zu 800 Kilometer. Der Fernverkehr sei besonders geeignet für Elektro-Lkw, da hier Ladezeiten während der Ruhezeiten oder über Nacht an Depots oder öffentlichen Ladestationen eingeplant werden könnten. In anderen Anwendungsbereichen hänge die Rentabilität stark von Faktoren wie dem Anteil des Aufladens in Depots gegenüber dem Laden unterwegs sowie der Preisgestaltung an öffentlichen Ladestationen ab.
Die Ladeinfrastruktur müsse vor allem zuverlässig und gut verfügbar sein, um die Akzeptanz von Elektro-Lkw zu fördern. Van Niersen stellte das Megawatt-Ladesystem (MCS) als eine vielversprechende Lösung vor, da dies eine hohe Ladeleistung und Zuverlässigkeit biete. Milence setze daher auf diese Systeme, die mit bis zu 600 kW Ladeleistung eine deutlich höhere Verfügbarkeit als die üblichen 400-kW-CCS-Ladesysteme aufweisen.
Netzanschlüsse als Engpass
Die Entwicklung der Ladeinfrastruktur erfordere eine genaue Analyse der Routen von Lkw-Flotten, da diese in der Regel sehr vorhersehbar seien. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei der Netzanschluss von Ladestationen, der in Europa große Unterschiede aufweise. Van Niersen betonte, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur von Netzbetreibern abhänge und daher dringend eine Harmonisierung der Prozesse auf europäischer oder nationaler Ebene erforderlich sei.
„Die Regierung muss sicherstellen, dass das Ausbautempo der Ladeinfrastruktur erhöht werden kann“, sagte van Niersen. „Deutschland ist ein kritischer Markt für den Transportsektor, da hier viele Kilometer zurückgelegt werden, wodurch der Ausbau der Ladeinfrastruktur oberste Priorität haben muss. Auf diese Weise kann die Regierung Vertrauen in den Markt und bei den E-Lkw-Käufern schaffen, was letztlich die Einführung und Durchsetzung von E-Lkw fördern wird.“
Das Energiemanagement eines Standorts werde sich voraussichtlich zu einer Schlüsselkompetenz bei der effektiven Integration von Ladeinfrastruktur in das bestehende Stromnetz entwickeln. „Wenn wir in der Lage sind, das Laden von E-Lkw als Chance für Netzbetreiber zu nutzen, können wir eine Win-Win-Situation für beide Parteien schaffen. Dies gilt insbesondere, wenn dies mit der Produktion erneuerbarer Energien kombiniert wird, beispielsweise durch die Einrichtung von Ladeparks in der Nähe von Windkraftanlagen“, so die Milence-Chefin.
Van Niersen sieht auch eine wichtige Rolle für Künstliche Intelligenz (KI) in der Logistik. KI könne die Routenplanung optimieren, die Vorhersage von Energiebedarf verbessern und so zur Effizienzsteigerung in der Logistik beitragen. Diese Technologien könnten helfen, die Energiepreise zu optimieren und eine effektive Nutzung der Ladeinfrastruktur sicherzustellen.
Thomas meint
„Trotz der vielversprechenden Prototypen chinesischer Hersteller sei die europäische Industrie nach wie vor führend.“
Oha. Steile These mit diesen „Prototypen“ :-)
google: BYD’s Commercial Vehicle Sales Up 531% in May — CHARTS
Rüdiger meint
Die Leute fordern alle viel zu viel. Es gibt ein Sprichwort: „Machen ist wie wollen, nur 100x krasser“
Zudem bedeutet Logistikunternehmen nicht zwangsläufig das die Trucks wochenlang autark durch die Gegen fahren. Das Gros an KM ist wirklich in Akku Reichweite der aktuellen e-Trucks. Dann muss man das am Gewerbegebäude eben selber machen, mit PV, Akku etc.