BMW hat früh und umfangreich auf Elektromobilität gesetzt. Die mit hohem Investitionsaufwand zur Serienreife entwickelte Technik wurde zuletzt aber vor allem dafür genutzt, neue Teilzeit-Stromer mit Plug-in-Hybridantrieb auf den Markt zu bringen. Reine Elektroautos mit langstreckentauglicher Reichweite wird es bei dem bayerischen Hersteller erst gegen Ende des Jahrzehnts geben. Konzernchef Harald Krüger verteidigt diese Strategie trotz wachsender Kritik weiter als das nachhaltigste Vorgehen. Intern sorgt das fehlende Angebot stimmiger E-Autos bei BMW aber offenbar zunehmend für Panik.
„Wir befinden uns mitten in einem elektrischen Angriff … wir müssen das sehr ernst nehmen“, so ein Mitarbeiter des Unternehmens kürzlich bei einer Präsentation in der Nähe von München. Die dramatische Kulisse: Eine große Leinwand mit Bildern von Mercedes-, Porsche- und Jaguar-Modellen – sowie der Chef von Elektroauto-Pionier Tesla, Elon Musk. Für den Vortrag – oder, wie es die Branchenzeitung Automotive News ausdrückt, „Motivationsveranstaltung/Horrorfilm“ – in einem verlassenen Flughafengebäude wurden zahlreiche BMW-Angestellte eingeflogen. In einer aufgezeichneten Begrüßungsrede ermunterte sie BMW-Chef Harald Krüger dazu, „all Ihre Mühe und Energie“ in die erwartete Transformation der Autoindustrie zu stecken.
Mit der filmreifen Inszenierung will BMW seine Belegschaft auf die großen Herausforderungen und tiefgreifenden Umwälzungen der Autoindustrie einstimmen. Automotive News zufolge wurden seit Anfang des Jahres bereits 14.000 Entwickler, Marketingleute und Fabrikleiter – knapp zehn Prozent der BMW-Angestellten – im Rahmen von Tagesveranstaltungen für die (Auto-)Mobilität der Zukunft geschult. Mit Hilfe von Workshops und Diskussionen zu Trends und neuen Technologien wie Carsharing, Robotaxis, Batterien und Lasersensoren sowie der Präsentation BMWs neuester Zukunftsvisionen soll der anstehende Wandel der Branche greifbar gemacht werden.
Dank der 2010 ins Leben gerufenen „grünen“ Submarke i mit innovativen, gewagten Modellen wie dem Elektroauto-Kleinwagen i3 und dem Plug-in-Sportler i8 galt BMW noch vor wenigen Jahren als technischer Vorreiter unter den Premium-Autobauern. Nach den Abgängen von Spitzenpersonal und wichtigen E-Mobilitäts-Experten zu anderen deutschen Marken und chinesischen Startups hat der Ruf der Bayern jedoch stark gelitten. Der Vorwurf: BMW verspielt seinen Vorsprung bei Elektromobilität und droht den Sprung an die Spitze eines neuen, innovativen Mobilitätsmarkts zu verpassen.
Neben Newcomer Tesla gilt mittlerweile auch General Motors wieder als führender Automobilhersteller. Beide Marken – Tesla mit dem Ende des Jahres kommenden Model 3, GM mit dem kürzlich gestarteten Bolt EV/Opel Ampera-e – bringen in die Praxis, was vor noch nicht allzu langer Zeit von etablierten Autokonzernen als unmöglich abgetan wurde: erschwingliche Elektroautos mit langstreckentauglicher Reichweite und akzeptablen Ladezeiten. Zwar bietet auch BMW mit dem i3 mittlerweile 300 Norm-Kilometer Reichweite an. Tesla und General Motors können aber bereits mit 500 bis 600 Elektro-Kilometern glänzen.
Mit den für 2018/2019 angekündigten Elektroauto-Umrüstungen von BMW X3 und Mini Cooper wird der BMW-Konzern die verlorene Technologie-Führerschaft nicht zurückerobern können. Der iNext, ein Automobil mit neuester Antriebs-, Komfort- und Sicherheitstechnik, ist erst für das nächste Jahrzehnt geplant. Doch spätestens ab 2020 wollen auch Mercedes-Benz, Audi, VW und kleinere Hersteller wie Jaguar, Aston Martin oder Bentley sowie zahlreiche Startups – viele davon aus China – modernste Elektro-Pkw anbieten. BMW strahlt zwar weiter Gelassenheit aus, die Münchner müssen sich aber auf einen harten Kampf um die Krone der Automobilindustrie einstellen.
JuergenII meint
BMW insbesondere die neue Vorstandsschaft hat doch den Schlamassel selber verursacht! Der i5 war doch schon fast beschlossene Sache, bevor die ewig Gestrigen bei BMW das Projekt wieder eingestampft haben.
Und ja BMW hat sogar ein ziemlich großes Problem. Dank des i3 haben sie zigtausend neue Kunden bekommen, die ihre normalen PKW nie gekauft hätten.
Nur anstelle für diesen Kundenkreis einen vernünftigen modernen Mittelklasse EV nachzuschieben, machen sie den Fehler E-Mobilität in konventionelle Verbrennerprodukte einzubauen, mit all den konstruktiven Nachteilen.
Wenn man sich mal im i3 Lager umhört, ist die Tendenz eindeutig: Viele warten auf das Model 3, denn fast keiner der i3 Käufer hat große Lust sein Geld in konventionelle EV-Produkte zu stecken. Für Liebhaber des altmodischen BMW Designs wahrscheinlich nicht nachvollziehbar.
Ein i5 wäre Kundenmarketing von aller erster Güte gewesen. So einen Wagen in diesem Jahr zu präsentieren hätte BMW nicht nur einen Schwarm neuer Kunden beschert, nein sie hätten sich endgültig im Olymp der E-Fahrzeughersteller eingerichtet.
Denn was wünschen sich fast alle E-Mobilbesitzer? Ein E-Mobil in der Größe von 3er, A4 und C-Klasse mit Akkusätzen =/> 60 kWh. Dazu noch so Selbstverständlichkeiten wie Dach- bzw. Fahrradträger und die allseits beliebte aber kaum benutzte Anhängerkupplung. Alles kein wirkliches Hexenwerk zumal mit den heute bereits verfügbaren 120 Ah Zellen.
Und das schlimmste am Ganzen: Sie haben ja die Technik bereits. Ein zweite Produktionshalle für einen größeren i3 kosten die sprichwörtlichen Peanuts, verglichen mit konventionellen Produktionsanlagen. Hätte aber bis 2020 hunderttausende von neuen Kunden an BMW gebunden. Das alles haben sie leichtsinnige aufs Spiel gesetzt.
Fritz! meint
Und wenn sie dann noch beim i5 aufs Carbon verzichtet hätten, wäre die Kiste sogar preislich voll konkurrenzfähig geworden.
Aber der Vorstand hats verbockt. Das dann das Entwicklerteam frustriert dahin geht, wo man sie machen läßt, ist völlig nachvollziehbar.
Schade BMW, ihr hattet es in der Hand und habt es an Tesla abgegeben…
Sebastian meint
Die Bilder von den BMW Zukunft Modellen sind schon Horror genug. Dagegen sieht der i3 ja schon wieder schick aus. BMW ist bei mir schon lange aus dem Fokus entschwunden, lediglich bei der Einreichung von Ankündigungen und Visionen taucht diese Marke bei mir auf. Aber interessant zu wissen, wo solche kapitalträchtigen Marken hinschippern.
Düsentrieb meint
Opel hat in Deutschland bisher noch nichts. Ob und wann der Ampera-e tatsächlich in erwähnenswerten Stückzahlen zu kaufen sein wird ist noch nicht bekannt. Eine Vermutung ist, dass das auch vor 2019 nichts wird…
Christian meint
Die kündigen nur einen E-Mini und X3 electric drive an, aber machen auf der anderen Seite die Mitarbeiter verrückt. Das passt nicht zusammen.
Ich frage mich, was BMW nach 2020 überhaupt in Sachen BEV zu bieten haben wird.
Es gibt keinen Plan.
Für die Familie wäre ein 3er Touring als BEV für mich ideal. Aber das bleibt wohl ein Traum.
McGybrush meint
Möchte mal wissen von wen Harald Krüger eher Aktien von seinem Geld kaufen würde mit dem wissen das er erst nach 20 Jahren wieder verkaufen darf.
BMW, Jaguar, VW oder Tesla Aktien.
Matschi meint
Nach ordentlichem Beginn zögert und zaudert BMW leider. Aber Angst vor Tesla haben alle.
Dr.M meint
Ja, und das ist wirklich schade – denn technisch ist der i3 ein tolles Auto und macht auch in Sachen nachhaltige Produktion vieles richtig.
Leider gefällt mir persönlich das Design nicht so und die hinteren Türen sind im Alltag schlicht unpraktisch. Entscheidend aber ist die Preisgestaltung, das ist einfach zu viel Geld.
Leider hat ja auch das Entwicklerteam des i3 und i8 BMW größtenteils in Richtung China verlassen. Vermutlich, weil denen bei BMW jede Perspektive fehlte.
Und ob zwei nachträglich elektrifizierte Verbrenner die Technologieführerschaft zurückerobern können, da habe ich aber mal meine ganz großen Zweifel.
Jm2c meint
Konzeptionell wurde beim i3 so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Das Entwicklungsteam hat sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. Ich bin froh, dass sie bei BMW nichts mehr anrichten können.
Steff meint
Ich halte auch nichts von Kohlefaser in der Serienproduktion, aber die wissen schon was sie tun in München.
Die Frage ist doch welches Konzept BMW mit dem i3 verfolgt(e). Der E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen? Das etablierte Geschäftsmodel kannibalisieren? Wohl kaum.
Oder sollte etwa nur der Flottenverbrauch verbessert werden, mit einem Zweit- oder Drittwagen der bestenfalls in der Innenstadt taugt, und am besten noch die Unzulänglichkeit der Technik beweist?
Ich glaube das Entwicklerteam hat nur Vorgaben umgesetzt. Und als die merkten das BMW nicht an einer konkurrenzfähigen, marktdurchdringenden E-Mobilität interessiert ist, sind sie zu einem innovativeren Arbeitgeber abgesprungen.
Fritz! meint
Bis auf die Tatsache, daß die in Physik Mittelstufe bezüglich Massenträgheit nicht aufgepaßt haben, haben sie viel richtig gemacht beim i3. Das Gewichtsreduzieren um jeden Preis war die dümmste Idee, die sie hatten, da ein E-Auto dank Rekuperation über 70% der Beschleunigungsenergie beim Bremsen zurückgewinnt.
Aber irgendwo mußten sie ja mit dem Carbon-Zeugs anfangen. Und dort war es mit viel TamTam möglich.
Steff meint
@Dr.M
„… und macht auch in Sachen nachhaltige Produktion vieles richtig.“
Was ist an unrecyclierbaren Kohlestofffasern nachhaltig? Das taugt nur noch als Füllstoff. Die verwendeten Harze werden entsorgt, also verbrannt.
Die Herstellung der Fasern ist unglaublich energieintensiv, da sind bis 3000°C notwendig. Die Prozessgase aus der Herstellung müssen aufwendig nachbehandelt und entsorgt, also ebenfalls verbrannt werden.
Abgesehen vom Ausschuss landen etwas 30% der hergestellten Fasern landen direkt in der Tonne (Verschnitt).
Nachhaltig? Lass dich durch die Ökoabdeckungen nicht blenden.
Leonardo meint
Ich hatte mich mal bei einer Firma die Kohlefaserteile fertigt beworben, nach einer Werksführung aber dann dankend abgelehnt da der Lösemittelgestank nicht zum aushalten war.
BMW produziert damit nur Sondermüll. Reperaturfähigkeit scheint nicht gegeben.
Fritz! meint
Mit dem Carbon hat BMW mit Abstand am meisten beim i3 ins Klo gegriffen. Absolut unnötig und teuer und, wie Sie schon schön erklärt haben, umweltunfreundlich.
Und die Gewichtsersparnis bringt noch nicht mal was bei E-Auto.